Signal der Entspannung am Bosporus

Armenien bietet der Türkei die Aufnahme diplomatischer Beziehungen ohne jede Vorbedingungen an

ISTANBUL taz ■ In das angespannte Verhältnis zwischen Armenien und der Türkei kommt endlich Bewegung. Erstmals seit Gründung der Republik Armenien im Jahre 1991 wurde von armenischer Seite jetzt offiziell der Wunsch nach einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen zur Türkei geäußert. Der armenische Außenminister Vartan Oskanian sagte in einer Rede als Gast des führenden türkischen außenpolitischen Think-Tanks Tesev, sein Land sei bereit, „ohne Vorbedingungen diplomatische Beziehungen zur Türkei aufzunehmen“.

Gegenüber der Tageszeitung Turkish Daily News bekräftigte Oskanian diese Absicht und erklärte, er habe dies auch im Gespräch mit dem türkischen Außenminister Ismail Cem erklärt. „Wir haben unseren Willen zu einer Verbesserung der Beziehungen zur Türkei sowohl öffentlich als auch über die diplomatischen Kanäle bekannt gemacht“, sagte Oskanian. Der armenische Außenminister hielt sich in der vergangenen Woche anlässlich einer Tagung des Schwarzmeer-Wirtschaftsforums in Istanbul auf und nutzte diese Gelegenheit für seinen spektakulären Auftritt bei Tesev. Vor allem in Armenien dürfte die Absicht, „ohne Vorbedingungen“ diplomatische Beziehungen zur Türkei aufnehmen zu wollen, auf massive Kritik stoßen.

Bislang galt in der armenischen Gesellschaft, dass der türkische Staat als Nachfolger des Osmanischen Reiches zuerst den Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges anerkennen müsse, bevor man zu gegenseitigen normalen Beziehungen kommen könne. Der erste armenische Präsident Ter Petrosjan war noch unter anderem deswegen gestürzt worden, weil er gesagt hatte, das Überleben des gegenwärtigen armenischen Staates sei wichtiger als die Vergangenheit.

Dahinter steckt die für Armenien bittere Erkenntnis, dass es ohne die Öffnung der Grenzen zur Türkei wirtschaftlich nicht auf die Beine kommt. Armenien braucht dringend Unterstützung aus dem Westen, und das Tor nach Westen ist nun mal die Türkei. Nicht zuletzt deshalb hatte es in den vergangenen Monaten auch auf zivilgesellschaftlicher Ebene immer wieder armenisch-türkische Treffen gegeben, durch die die eisige Atmosphäre langsam aufgetaut wurde.

Die heftigsten Gegner einer armenischen Annäherung an die Türkei sitzen allerdings in der armenischen Diaspora in den USA und in Westeuropa. Gerade die Kinder und Enkel der damals aus der heutigen Türkei vertriebenen Armenier drängen am massivsten auf ein türkisches Schuldeingeständnis und haben in den letzten Jahren erfolgreich dafür gekämpft, dass das französische und europäische Parlament den Genozid an den Armeniern offiziell gewürdigt haben. Derartige Kampagnen würden nach der Aufnahme regulärer diplomatischer Beziehungen zwischen Armenien und der Türkei wohl sehr viel schwieriger werden.

Bislang hat sich die türkische Regierung zu dem armenischen Vorschlag noch nicht geäußert. Die Entscheidung wird letztendlich davon abhängen, wie Aserbaidschan sich in dieser Frage verhält. Die türkische Regierung hat Aserbaidschan im Krieg um Berg-Karabach immer unterstützt und will nun nicht riskieren, Baku vor den Kopf zu stoßen. Doch selbst dieses Problem scheint sich durch ein armenisches Entgegenkommen lösen zu lassen. Gegenüber der Turkish Daily News sagte Armeniens Außenminister Oskanian, die Türkei könne im Falle einer Aufnahme diplomatischer Beziehungen „eine wichtige Vermittlungsrolle“ im Karabach-Konflikt spielen. JÜRGEN GOTTSCHLICH