piwik no script img

Düstere Zukunftsaussichten für Arabien

Ein UN-Bericht über die Lage der arabischen Welt gibt wenig Anlass zur Hoffnung. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt von weniger als zwei Dollar am Tag. Und die Hälfte der Jugendlichen sieht ihre beste Chance in der Auswanderung

KAIRO taz ■ Immer wieder wurden neben politischen auch soziale und wirtschaftliche Probleme der arabischen Welt als eine der Ursachen für den 11. September genannt. In einer einmaligen Bestandsaufnahme hat nun ein Team unabhängiger arabischer Sozialwissenschaftler im Auftrag der UN-Entwicklungsorganisation UNDP einen ehrlichen und kontroversen Blick in den Spiegel geworfen. Im ersten „Arabischen Bericht über die menschliche Entwicklung“ finden sie bei der Analyse der 22 Mitgliedstaaten der Arabischen Liga mit ihren 280 Millionen Einwohnern ein paar wichtige Fortschritte. Beispielsweise ist die Lebenserwartung in den letzten drei Jahrzehnten um 15 Jahre angestiegen, während die Kindersterblichkeitsrate um zwei Drittel gesenkt wurde. Verringert wurde auch die „äußerste Armut“, das heißt Menschen, die am Tag weniger als einen Dollar verdienen.

Große Teile des Reports lesen sich dagegen wie ein Katastrophenbericht, der dem benachbarten Europa zu denken geben sollte. Unter anderem, weil die Hälfte aller arabischen Jugendlichen mangels Chancen in der eigenen Region auswandern will. Immerhin sind 38 Prozent der Bevölkerung unter 14 Jahre alt, eine Zahl, die weit über dem Weltdurchschnitt liegt. Ganz abgesehen davon, dass sich die arabische Bevölkerung insgesamt nach Schätzungen in den nächsten 20 Jahren verdoppeln wird.

Dem wird die Wirtschaft kaum standhalten. Das Bruttosozialprodukt aller arabischen Länder zusammen lag 1999 bei 531,2 Mrd. US-Dollar ( Spanien: 595,9 Mrd.). Nach Afrika südlich der Sahara hat die arabische Welt das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen, und das wird mit einem durchschnittlichen Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent wohl auch so bleiben. Ein Fünftel der Araber lebt heute von weniger als zwei Dollar am Tag.

Dringend erforderlich, so die Autoren des Berichts, seien höhere Ausgaben für die Bildung. 65 Millionen erwachsene Araber sind Analphabeten, zehn Millionen Kinder gehen nicht in die Schule. Auch der Zugang zu neuen Technologien ist mehr als beschränkt. Nur 0,6 Prozent aller Araber benutzen das Internet, ganze 1,2 Prozent haben einen Computer.

Besonders Frauen sind von den negativen Aspekten ihrer Gesellschaften betroffen. Immerhin sind zwei Drittel der Analphabeten weiblich. Ihre Beteiligung am Arbeitsmarkt zählt zu den niedrigsten weltweit. Die weibliche politische Repräsentation tendiert praktisch gegen null. Auf nur 3,5 Prozent der arabischen Parlamentssitze nimmt eine Frau Platz.

Um diese Probleme anzugehen, bedarf es einer angemessenen Verwaltung. Aber genau daran hapert es. Was eine „demokratische und effiziente Regierungsführung“ angeht, liegen die arabischen Länder laut dem Bericht unterhalb des Durchschnitts. Defizite bestünden besonders in Fragen, wie Regierungen gewählt, überwacht und abgesetzt werden können, und ob diese fähig seien, nicht nur Ziele zu formulieren, sondern diese auch umzusetzen. Die Konflikte der Region, wie der israelisch-palästinensische oder Bürgerkriege wie im Sudan, trügen zu diesem Demokratiedefizit bei und führten nicht nur zu politischer Instabilität, sondern seien auch eines der Haupthindernisse für anhaltenden wirtschaftlichen Wachstum.

Die arabische Welt, so endet der Bericht, sei heute vor die Wahl gestellt, ob ihre Flugbahn auch künftig von Trägheit gezeichnet sei und den großen Entwicklungsherausforderungen weiterhin durch ineffektive Politik begegnet werde, oder ob es eine Art arabische Renaissance gebe, in der die menschliche Entwicklung aktiv angegangen werde. Betrachtet man die ineffizienten, korrupten und diktatorischen arabischen Regimes als Krisenverwalter, besteht wenig Grund zur Hoffnung.

KARIM EL-GAWHARY

kommentar SEITE 12

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen