vorlauf: Roter Mantel
„Hermaphroditen – eindeutig zweideutig“ (22.20 Uhr, Arte)
So möchte niemand, dass von seinen Geschlechtsorganen geredet wird: „An erster Stelle steht die Funktionalität, aber direkt danach kommt die Ästhetik. Wenn es nicht ästhetisch geht, muss es wenigstens funktionieren.“ Die dies so lässig ausspricht, ist Claire Nihoul Fékété, Frankreichs Koryphäe, wenn es darum geht, das uneindeutige Geschlecht von Neugeborenen chirurgisch dem gängigen Standard anzunähern.
In Ilka Franzmanns Reportage, Auftakt des Themenabends „XXY – Geschlechter zwischen Mann und Frau“, übernimmt die alerte Chirurgin den Part der selbstgewissen Macherin. „Es geht um Erziehung“, lautet ihr für ihren Berufsstand verblüffendes Credo. „Wenn man einem zweijährigen Mädchen einen roten Mantel kauft, fragt man es auch nicht. Mein Eingriff ist brutaler, aber jede Erziehung heißt Entscheidungen treffen, die man für das Kind für das Beste hält.“
Dass diese frühkindliche Erziehung per Skalpell geradewegs in die Identitätskrise führen kann, belegt die Dokumentation mit eindringlichen Fallbeispielen. Allein, der permanente Wechsel von grübelnden Betroffenen in der freien Natur (die Ganzheit! das Gute!) zu Bildern einer OP-Vorbereitung (die Norm! das Kalte!) gerät selbst allzu didaktisch.
Die Schlusssequenz zeigt einen älteren, als Baby zum Jungen erklärten, später auf eigenen Wunsch „zurückoperierten“ Hermaphroditen im Gespräch mit einem jungen, der eine Operation zum Mann erwägt. „Es ist ein langer Abschieds- und Trauerprozess“, sagt der Jüngere, „die eine Seite von mir abzutöten, um die andere leben lassen zu können.“
Doch der ältere, von der eigenen Geschlechtskorrektur enttäuscht, rät ab: „Eindeutigkeit wirst du nie haben. Eindeutigkeit für dich heißt, dass du Hermaphrodit bist.“ Und den Zuschauer beschleicht das Gefühl, dieser Ratschlag sei graue Gendertheorie. Die Sehnsucht nach Selbstverständlichkeit, sie wird den jungen Mann in spe wohl weiter umtreiben, ob nun operiert oder sozusagen im Originalzustand. Merkwürdig, von erfüllender Partnerschaft und Eindeutigkeit durch Liebe ist im ganzen Film nie die Rede. Man wünscht sie allen seinen ProtagonistInnen. REINHARD KRAUSE
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