Rechter Gedankenabklatsch

Seit einem Jahr ist die Schweizer Nobelzeitschrift „Weltwoche“ auf neuem Kurs. Raus aus der „Aktualitätsfalle“, rein in den rechten Mainstream – und im Hinterkopf immer den „New Yorker“

von ROLAND HOFWILER

Der Versuch ist nicht neu, den traditionsreichen und anspruchsvollen New Yorker in einer deutschsprachigen Variante herauszubringen. In den 80er-Jahren versuchte Transatlantik, die besten Wortjoungleure deutscher Zunge um sich zu scharen, in den 90ern wollte Spiegel Reporter die Edelfedern des Hamburger Nachrichtenmagazins versammeln – beides Mal auf längere Sicht ein Fehlgriff.

Jetzt glaubt wieder ein Blattmacher, die Vorlage aus der US-Metropole kopieren zu können. Roger Köppel heißt der Mann, vom Handwerk eigentlich Sportjournalist, 37 Jahre jung und in der Schweiz der neue Star der alpenländlichen Medienszene. Seit knapp einem Jahr thront er als Chefredakteur über der noblen Weltwoche, seit eineinhalb Monaten krempelt er das Züricher Blatt, dessen Wirkungsgrad für die Schweiz bislang mit dem der Hamburger Zeit zu vergleichen war, völlig um. Köppel macht dabei keinen Hehl aus seiner Bewunderung für die amerikanische Blattmacherin Tina Brown vom New Yorker. „Sie hat eine etwas verstaubte Zeitschrift mit hervorragendem Ruf und großartiger Vergangenheit radikal aktualisiert“, sagt Köppel, „ohne aber die Kerntugenden wie schöne Sprache und exzellente Recherche über Bord zu werfen.“

Von links nach rechts

Übersetzt auf die Weltwoche soll das heißen: verändertes Layout, weg vom Zeitungs- und hin zum Magazinformat, neue politische Bestimmung und die Suche nach journalistischen Experimenten in einer sich verändernden Medienwelt. „Intelligenter Nonkonformismus gegen linke und rechte Denkverbote“ fordert Köppel in einem internen Strategiepapier, „und weg von der Aktualitätsfalle“.

Edle Vorgaben, doch halten sie der Realität stand? Bislang sind neun Ausgaben im neuen Weltwochen-Format erschienen, fast jede Nummer mit einer Provokation auf dem Titel. Da ziert Martin Walser das Titelbild mit der Zeile „Anklage: Antisemit“, um zu erklären, die Aufregung über den Schriftsteller vom Bodensee sei weit übertrieben. Ein anderes Heft behandelt das Thema Einwanderung unter der Fragestellung „Lassen wir die Richtigen rein?“ und der These, die Falschen kletterten über die Zäune. Über welche Zäune, fragt man sich und findet keine Antwort.

Geschockte Stammleser

Wen wundert da noch, dass ein Titel in großen Lettern erklärt, „Was Bush richtig macht“ und warum sich die Europäer irren, wenn sie den großen Verbündeten in dessen Kampf gegen den internationalen Terrorismus kritisieren. Das wirkt auf die Stammleserschaft der Weltwoche wie ein Schock. Linksliberale Ausrichtung galt für Jahrzehnte als Markenzeichen der Weltwoche, mit manch linker Debatte – vom Recht auf Wehrdienstverweigerung bis zur Lockerung des Bankgeheimnisses – irritierte das Blatt die überwiegend konservativen Schweizer. Die Weltwoche war immer gut für eine Überraschung, Grundtendenz links. Mit diesem Konzept ging es allerdings in den vergangenen Jahren immer mehr bergab, die Auflage brach ein, Anzeigen blieben aus und Konkurrenz wuchs heran: Seit nunmehr sieben Jahren erscheint in Zürich am selben Tag wie die Weltwoche das Nachrichtenmagazin Facts, das mittlerweile mit einer Auflage von etwa 100.000 Exemplaren die alte Dame um über 20.000 Hefte pro Ausgabe überholt hat.

Veränderung war daher dringend nötig, um gegenüber Facts nicht weiter in Rückstand zu treten. Köppel lernte sein Handwerk bei der konservativen Neuen Zürcher Zeitung, arbeitete sich danach beim linksgerichteten Tages-Anzeiger bis in die Chefetage hoch und etablierte dort mit dem „Magazin“ eine viel gelobte Wochenendbeilage. Innerhalb des Tages-Anzeiger-Teams fiel Köppels rechtslastige Gesinnung kaum ins Gewicht, erst in seiner Funktion als Chefredakteur der Weltwoche schlägt diese Geisteshaltung nun ungehemmt durch. In seinen Kommentaren wird etwa der Präsident der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei, Ueli Maurer, als „der letzte Staatsmann“ empfohlen, eine Auszeichnung, die selbst der Volkspartei peinlich ist. Den australischen Philosophen Peter Singer, der es für legitim hält, behinderte Säuglinge nach der Geburt zu töten, und sich für Gen-Versuche am Menschen stark macht, preist Koppel als den „vielleicht bedeutendsten Philosophen der Gegenwart“. Die Diskussion um die globale Erwärmung erklärt die Weltwoche zum „Katastrophen-Geschwätz“. Deshalb der Rat an die eidgenössischen Politiker: Lasst euch ruhig Zeit mit der Ratifizierung des Kioto-Protokolls zur Reduzierung der Schadstoffe in der Luft.

Blattmacher Köppel erklärt die Auswahl der Themen in seinem Wochenmagazin generell als Abklatsch von Gedanken, die „an einem intelligent geführten Stammtisch“ überall in der Schweiz geführt werden könnten, über die Weltwoche eben einmal wöchentlich auf Papier gebracht, schön redigiert und dezent bebildert auf neunzig Seiten. Die schönsten Geschichten in jeder Nummer entstammen allerdings keinen Stammtischrunden, sondern mutigen und klugen Reportern, die sich aufmachen mit Laptop und Kamera, um die Welt zu entdecken und zu beschreiben – etwa das Porträt der finnischen Gerichtsmedizinerin Helena Ranta, die im Auftrag der UNO um die Welt reist, um Massengräber auszuheben. Aus dem Rahmen füllt auch eine achtseitige Reportage aus Moldawien, dem ärmsten Land Europas, von denen viele gar nicht einmal wissen, wo es auf der Landkarte liegt. Dies sind dann doch Geschichten im besten New-Yorker-Stil.