: Katarrh und Katharsis
Leiden und Lärmen der dem Tabakgenuss zugetanen Hauswartsfrau Glubsch
Verrichtet der tätige Mensch die ihm auferlegte Fron angemessen artig und vielleicht gar mit Freuden, entlohnt ihn zumeist ein erhabenes Gefühl der Erfüllung und des Wohlbefindens. Sei es nun, dass unter geschmeidigen Fingern ein Werkstück entsteht, sei es eine Dienstleistung fürsorglicher oder gewerblicher Natur – der Urheber ist geneigt und im besten Falle auch befugt, darob reinste Befriedigung zu empfinden. Dieser edle Zustand des Gemüts aber lässt sich um ein Vielfaches noch steigern, noch weitaus höher angesiedelte Gratifikation sich erwirken, wenn der Wonne auslösende Akt markante Geräusche gebiert und jene in Form einer dem Alltag abgerungenen Sinfonie der Mitwelt dergestalt teilhaftig werden, dass Paare, Passanten und faulenzende Spätaufsteher gebührend Anteil zu nehmen vermögen. Unsere wackeren Müllwerker wissen, wovon hier die Rede ist.
Auch Frau Glubsch aus dem Stockwerk oben drüber hat diese seit Menschheitsgedenken gültige Gewissheit verinnerlicht. Diese jugendlichen Kapriolen seit langem entwachsene Dame macht sich um das Wohl der Hausgemeinschaft verdient, indem sie um den Preis einer halbwegs kommoden Mietminderung leichte Hausmeisterpflichten besorgt. Verlässlich bugsiert sie, dem verinnerlichten Farbschema des Leerungsplanes folgend, am Vorabend der Abholung die Mülleimer aufs Trottoir, hält gewissenhaft den hinterwärts gelegenen handtuchgroßen Rasenflecken auf Höchstlänge und verwahrt getreulich den Schlüssel zum Heizungskeller – womöglich sogar an ihrem Busen. Vielleicht aber auch nicht.
Das hat recht eigene Art, zumal Frau Glubsch trotz ihres offenbar bresthaften Zustandes entgegen allen Ermahnungen keinesfalls ablässt von ihrer Gewohnheit, ihren Atemwegen regelmäßig und in eher knapp bemessenen zeitlichen Abständen die teerhaltigen und karzinogenen Gase entzündeten Tabaks zuzuführen. Um diesem Genuss zu frönen, verlässt Frau Glubsch jeweils ihre eigenen Räumlichkeiten und verfügt sich in ein auf halber Stiegenhöhe gelegenes Gelass, das in früherer Zeit die heute innerhalb der Wohnungen untergebrachten Sanitärmöbel barg. Jedem Mieter ist eine dieser winzigen Kammern zugeteilt; die meisten nutzen sie als Abstellraum, Frau Glubsch hingegen als doch sehr beengtes Raucherzimmer, um – laut eigenen Angaben – Gardinen und Wandbehänge der Wohnung vor üblen Gerüchen und schmierigem Gilb zu bewahren. Ihre Ausflüge ins Treppenhaus mögen indes auch damit zu tun haben, dass Frau Glubsch sehr daran gelegen ist, über sämtliche Vorgänge im Haus auf dem Laufenden zu bleiben. Den Mutmaßungen des Flurfunks zufolge dienen ihr dabei die alten Fallrohre als unverzichtbare Informationsquelle, die, da stillgelegt, trefflich den Schall aus den unteren Stockwerken emportragen und dem stiekum lauschenden Ohre zuführen. Man muss vermuten, dass die Tonübertragung auch in umgekehrter Richtung funktioniert. Zumindest wäre dies zu bedenken, und vielleicht erklärt dieser Umstand, dass Frau Glubschs hartnäckige Hustenanfälle auf wundersame Weise gelindert scheinen, wenn sie, ohne die private Sphäre der Mitmieter durch Licht- oder Lärmbelästigung zu beeinträchtigen, nächtens durchs Treppenhaus huscht, um ihren Platz in ihrem Kabäuschen einzunehmen, wo sie meist auf unbestimmt Zeit verharrt und sich am giftigen Qualm der zu Stengeln gedrehten Tabakspflanzen gütlich tut.
All dies zusammen genommen und mal leidlich durchdacht, verwundert auch den Außenstehenden kaum noch, dass Mitgefühl wie auch die stets paraten Besserungswünsche meist mit einer gewissen Uneigentlichkeit ausgesprochen werden. Und dass neue Mieter, wenn sie nach Anhören der Leidensgeschichte der Glubsch betroffene Mienen feilbieten, bei ihren neuen Mitbewohnern mit ironisch geschürzten Mundpartien rechnen dürfen. HARALD KELLER
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