: Synergie gegen jede Vernunft
von HANNES KOCH
Die SPD tobte. „Glatter Rechtsbruch!“, schleuderten die Sozialdemokraten dem liberalen Wirtschaftsminister Helmut Haussmann entgegen. Ursache des Aufruhrs: Haussmann war im Begriff, etwas grundsätzlich Unliberales zu tun. Gegen das Votum des Bundeskartellamtes setzte der FDP-Minister durch, dass Daimler-Benz die Rüstungsfirma Messerschmidt-Bölkow-Blohm (MBB) schlucken darf.
Das war 1989. Zusammen mit Daimler-Chef Edzard Reuter drehte die Kohl-Regierung das große Rad der Industriepolitik. Mit staatlichem Wohlwollen übernahm Daimler die Luftfahrtfirmen Dornier und MTU, schließlich auch den maroden Elektronikkonzern AEG und die niederländische Flugzeugfabrik Fokker. Alles diente dem großen Ziel, den „integrierten Technologiekonzern“ aus Deutschland fit zu machen für eine führende Rolle auf dem Weltmarkt. Das Experiment mit dem Global Player aus Stuttgart scheiterte jedoch kläglich. Die gekauften Firmen gingen Pleite, wurden abgewickelt oder wieder abgestoßen.
Jetzt steht ein ähnlicher Fall wieder an – allerdings unter sozialdemokratischer Regie. Gestern Nachmittag hieß es aus der rot-grünen Regierung, dass das Wirtschaftsministerium die geplante Fusion der Energiekonzerne E.ON und Ruhrgas genehmigen werde – gegen das Votum des Bundeskartellamtes und der Monopolkommission der Bundesregierung. In der Nacht zuvor hatte E.ON-Chef Ulrich Hartmann bereits bekannt gegeben, dass er die noch nicht im Besitz des Unternehmens befindlichen Ruhrgas-Anteile (40 Prozent) für 4,1 Milliarden Mark übernehmen werde. Eine klare Botschaft: E.ON und Ruhrgas dürfen tun, was sie planen.
Die Problematik liegt ähnlich wie im Falle Daimler 1989. Soll die Bundesregierung einen Großkonzern so päppeln, dass er auf dem Weltmarkt Extrarenditen erzielen kann? Oder soll man die größten Unternehmen so klein wie möglich halten, damit Wettbewerb herrscht auf dem Markt und die Verbraucher keine überhöhten Preise zahlen? Die Fachleute von links bis konservativ sind sich im Falle E.ON einig wie selten: Bloß keine Fusion! „Man sollte auf Wettbewerb setzen“, sagt Professor Henning Klodt vom Institut für Weltwirtschaft in Kiel.
Unter Leitung Werner Müllers geht die Tendenz im Wirtschaftsministerium in die andere Richtung. Der parteilose Ex-Manager des Energiekonzerns Veba (heute E.ON) ist ein Industriepolitiker alter Schule. Seine schützende Hand hält er über die heimischen Großunternehmen, um sie zu internationalen Marktführern zu machen. Davon profitieren die Deutsche Telekom AG ebenso wie die Post AG, die den globalen Anspruch – „World Net“ – bereits im Namen trägt.
Welchen Nutzen soll es überhaupt bringen, einen Global Player aus Deutschland zu fördern? E.ON-Chef Ulrich Hartmann stellt zwei Argumente in den Vordergrund. Einmal die „Versorgungssicherheit“: Gemeinsam könnten Ruhrgas und E.ON mehr Geld für Investitionen in Russland aufbringen, um langfristig den Gasnachschub nach Deutschland zu gewährleisten.
Dagegen hält Wettbewerbsexperte Lars-Hendrik Röller von der Berliner Humboldt-Uni die Unterstützung von Großfusionen immer nur für die „zweitbeste Lösung“. Im Falle einer Versorgungskrise böte ein Großkonzern nicht unbedingt Vorteile, so Röller. E.ON-Ruhrgas könnte sich zu sehr auf russisches Gas als Hauptquelle verlassen und damit geradezu riskieren, dass durch die Verstopfung dieser Pipeline Millionen Gasheizungen in Deutschland kalt bleiben. Röller argumentiert, der Nachschub sei im Krisenfalle besser gewährleistet, wenn die Versorgung von mehreren Unternehmen mit verschiedenen Vorlieferanten getragen werde.
Die zweite These aus den Häusern E.ON und Ruhrgas lautet so: Ein starker Großkonzern verdient auf dem Weltmarkt mehr Geld, was er in seiner Heimat in Arbeitsplätze und Forschungsinvestitionen ummünzt. Der Staat freut sich über hohe Steuereinnahmen und die Sozialversicherung über die Beiträge.
Derartige Argumentationsketten findet Hans-Joachim Ziesing „unheimlich spekulativ“. Der Energieexperte des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung in Berlin kann die dramatischen Vorteile der Fusion für den Wirtschaftsstandort nicht erkennen. Die Firmen E.ON und Ruhrgas seien heute bereits „gut positioniert“ – der Zusatznutzen der Fusion falle eher gering aus, so Ziesing.
Kollege Henning Klodt aus Kiel assistiert mit dem skeptischen Hinweis auf das Paradebeispiel erfolgreicher Industrieförderung: den europäischen Flugzeugbauer Airbus. Ob der Staat tatsächlich Geld verdiene mit dem Aufbau eines Global Players, stehe doch sehr in Frage, so Klodt. Schließlich müsse man die Milliarden Subventionen, die das Projekt permanent verschlinge, den Einnahmen an Steuern und Sozialbeiträgen gegenüberstellen. Klodts Fazit: „Man hätte Airbus lassen sollen.“ Die Flugzeuge vom Monopolisten Boeing zu kaufen sei allemal die ökonomisch sinnvollere Variante gewesen.
Auf die Nachteile des geplanten Zusammenschlusses weisen das Bundeskartellamt und die Monopolkommission hin. Die wesentlichen Bedenken drehen sich um die Einschränkung des Wettbewerbs. Als bereits heute größtes deutsches Gasunternehmen und zweitgrößter einheimischer Stromkonzern würden Ruhrgas und E.ON gemeinsam über eine derartige Macht verfügen, dass sie Konkurrenten mühelos aus dem Feld schlagen könnten. Die Folgen wären bis zu den Verbrauchern in Wirtschaft und Privathaushalten zu spüren: schlechter Service, zu hohe Preise, weniger Anstrengungen beim Klimaschutz.
Die Abwägung dieser Aspekte, so sind sich die Experten einig, müssten bei E.ON und Ruhrgas eigentlich zur Ablehnung der Fusion führen. Für Wirtschaftsprofessor Röller liegt auf der Hand: „Der Staat sollte nicht entscheiden, wer Champion wird.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen