: Tanzende Aliens
Wenn Raver nostalgisch werden: Das Plattenlabel !K7 hat alte Techno-Videos auf drei DVDs wieder veröffentlicht
Aus einem durchsichtigen Hahn fallen zwei Tropfen auf ein Fließband. Die Tropfen, die verdächtig Sperma gleichen, verwandeln sich in ein grünes und ein rotes Männchen, die wacker auf dem Fließband vorantapern. Dann fliegt einem von beiden eine gelbe Scheibe, auf der „any drug“ steht, in den Mund. Das Männchen schluckt, leuchtet auf und verwandelt sich in eine Art gläserne Justitia, der die Waagschalen vom Kopf herunter hängen. Dann fallen die Männchen in einen blau schimmernden Teich, aus dem die Worte aufsteigen: „What now happens depends on you.“
Das ist der Stoff, aus dem Anfang der 90er-Jahre die Raver-Träume waren. Mit dieser Sequenz beginnt einer der X-Mixe, eine Sammlung von Techno-Videos aus der ersten Blütezeit des Genres. X-Mix war eine Serie von Video-Kompilationen, die von der Berliner Video-Firma !K7 in der Hochzeit des Rave-Fiebers produziert wurden. Sie kombinieren Mixe von DJs wie Kevin Saunderson, DJ Hell, Hardfloor, Dave Angel oder den Shamen mit computergenerierten Videos, die die Ästhetik dieser Zeit zusammenfassen.
!K7 begannen 1985 als Produktionsfirma, die Videos für Punk- und Independent-Bands drehte. Die X-Mixe, die in den 90er-Jahren auf Video, CD und Vinyl erschienen, gehörten zu ihren ersten Ausflügen in die House- und Techno-Szene. Heute ist !K7 vor allem ein Plattenlabel, auf dem zum Beispiel die „DJ-Kicks“-Serie erscheint. Nun hat die Firma neun alte X-Mixe auf drei DVDs wieder veröffentlicht, die nun auch schon einen gewissen historischen Wert haben – und auch eine bisschen Patina. Hier gibt es ein Wiedersehen mit springenden Delfinen, tanzenden Aliens mit Insektenaugen und anderen Computer-Psychedelia-Bildern, die vor zehn Jahren wohl jedem verstrahlten Raver-Gehirn eingeleuchtet haben. Die Musik dazu stammt von Techno-Klassikern wie Model 500, Minimal Man, Josh Wink und LFO.
Die Computer erzeugen geometrische Muster, was der Prozessor so hergibt. Meist ist die Szene ins Halbdüster getaucht, weil das nicht so viel Rechenleistung beansprucht. Sterne flackern in einem kalten Weltall, durch das Geschwader von Raumschiffen zischen, und dann marschieren ameisenhafte Krieger über den Monitor. Ihre Nachfolger sind nun im „Angriff der Klonkrieger“ zu bewundern.
In ihren besten Momenten sind die hier versammelten Videos die Fortsetzung des experimentellen Kinos der 20er-Jahre und des strukturellen Films der 60er; im schlimmsten Fall sind sie übler Kitsch – wenn zum Beispiel dunkle Ritter durch noch dunklere mittelalterliche Burgen springen oder sich bunte Pilzchen wie Regenschirme öffnen und schließen. Es ist ein wirres Reich der Zeichen, das an uns vorbeiflackert, voll mit Pop-Ikonen aus dem 20. Jahrhundert, und irgendwie ist in vielen dieser Videos auch eine Fin-de-Siècle-Stimmung zu spüren. Über diese Bilderorgien freuten sich einst Raver in ganz Deutschland, denn die X-Mix-Sammlungen wurden in Clubs der Republik als billiger Fundus für Visuals verwendet.
Auch Bilder davon, wie man sich einst den „Cyberspace“ vorgestellt hat, sind in den X-Mixen zu sehen. Wiederum aus Gründen der Computerentwicklung bevorzugen die meisten Techno-Videos fließende Bewegungen durch glatte Räume, auch Unterwasserfahrten oder Reisen durch den Weltraum waren populäre Sujets. Wie bei „A Bug’s Life“ oder „Shreck“ sind glatte Wesen wie Insekten und Würmer sehr beliebt – für Behaarung waren die Rechner noch nicht schnell genug. Darum sind diese Videos auch ein Zeugnis der Zeit, als die Produktion von computergenerierten Filmen nicht mehr das Privileg von Hollywood-Regisseuren wie George Lukas oder James Cameron war, sondern auch von ganz normalen kleinen Film-Produktionen eingesetzt werden konnte.
Leider hat man sich bei !K7 keine große Mühe bei der Aufarbeitung der X-Mixe für die DVD gegeben. Es gibt keine Zusatzinformationen über DJs, oder – was ja noch interessanter wäre – über die Videoproduzenten, von denen außer Namen wie Triapolis, Zone 4 oder Monoscape nichts zu erfahren ist. Wer diese Leute waren, werden daher Techno-Historiker der Zukunft in mühevoller Kleinarbeit erforschen müssen.TILMAN BAUMGÄRTEL
X-Mix – The DVD-Collection, Part I–III, !K7
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen