: Mit dem Rücken zur Wand
Zum Abschluss des „Wüste“-Festivals begrüßte Intendant Ulrich Waller das Publikum zu einem „Schmankerl“ im Amerikahaus: Beatbox von Tommy Shepherd und Dan Wolf. „Früher hätte man das Operette genannt“, so Waller „heute wird eine ,Raperetta‘ daraus.“ Die Geschichte um die elternlosen Stiefbrüder und ihre Versuche, der sozialen Randständigkeit zu entkommen, ist in Form modernen urbanen Musiktheaters erzählt; der Text wird gerappt, ab und an kommt die Musik dazu vom Band, aber das allermeiste machen die Akteure selbst: nur mit Mund und Mikrofon. Shepherd und Carlos Aguirre sind umwerfende Human Beatboxer – so der Name für a capella-Imitatoren von Beats und Scratches, und überhaupt ist da reichlich Talent auf der Bühne, auch was Raps und Tanz angeht.
HipHop ist die Leidenschaft, der alle Beteiligten anhängen, und seine Formen der Konfliktlösung sind in Regeln eingebettete, kreative Tanz-, Fingerfertigkeits- und Sprechduelle. Tet (Aguirre) nimmt die Niederlage schwerer als er sollte: Wenn er schon keinen Respekt zu erhalten glaubt, so doch wenigstens die Waffe in seiner Hand. „I want my share!“ Wütend wiederholt er diesen Satz. Seinen Anteil fordert er ein – vielleicht an der unerreichbaren Downtown mit ihren sternengleich funkelnden Lichtern, vielleicht auch erst mal nur an Aufmerksamkeit. Doch im Club dreht der Tonmann Tets Mikro leise, und das Battle ist verloren. Sein Stiefbruder (Shepherd) hat ihm scheinbar den Rücken gekehrt, genauso sein früherer Partner, Malloy (Wolf), um lieber mit dem gerade von einer Welttournee zurückgekehrten Zac (Keith Pinto) eine Crew zu formieren; am Ende wird Tet Malloy erschossen haben.
Die jetzt gezeigte Fassung von Beatbox war um einen Subplot und einige Nebenrollen reduziert, gleichwohl dicht und dynamisch. Tatsächlich bildet das selbe Personal seit den frühen 90er Jahren die „onelovehiphop“-Band Felonious. Pinto und Jessica Wolf, Schwester des Co-Autoren, bilden ein tolles Tanzpaar und sahen sich allenfalls durch den beeindruckenden Hamburger B-Boy Vincenz übertrumpft, der neben dem Rapper und Beatboxer Dante als Gast dabei war und zusammen mit Dylan Mills (in wechselnden Nebenrollen) das Ensemble bildete. Das Publikum war wohlgesonnen; ein Stück, das gerne auch einmal in der vollständigen Form eingeladen werden dürfte. Vielleicht wird es ja zur Premiere der anstehenden Dokumentation über Dan Wolf und seine Familiengeschichte etwas. Alexander Diehl
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