: Brustzentrum: Jetzt ist die Politik gefordert
Die Bremer Europa-Abgeordnete Karin Jöns (SPD) fordert einen Wettbewerb der Besten, bevor Bremen ein oder am besten zwei Brustzentren bekommt. Das ZKH Sankt-Jürgens-Klinik hat schon einen Frühstart hingelegt, obwohl es bislang hierin nicht gerade den besten Ruf hatte
taz: Frau Jöns, was halten Sie von einem neuen Bremer Brustzentrum?
Karin Jöns: Ein Brustzentrum, in dem alle ÄrztInnen sich auf gut- und bösartige Krankheiten der Brust spezialisiert haben und wirklich fachübergreifend zusammenarbeiten, wäre ein großer Gewinn – aber es muss dafür einen Wettbewerb geben, der an Qualität orientiert ist und nicht an der Größe einer Klinik oder einfach der Tatsache, dass dort derzeit ein Mammographie-Screening-Zentrum Mieter ist. Ich warne aber vor einem Schnellschuss.
Warum?
Weil es bis heute keine Zertifizierungskriterien für Brustzentren gibt. Ein Name allein steht noch nicht für Qualität. Das Europäische Brustkrebsnetzwerk erarbeitet deshalb gerade Zertifizierungskriterien für interdisziplinäre Brustzentren und zwar nach den Vorschlägen der Europäischen Gesellschaft für Brustkunde, EUSOMA. Die DKG dagegen versucht ISO-Kriterien bei Kliniken anzulegen. Wir wollen aber nicht nur Behandlungsabläufe prüfen lassen. Sondern die Qualität der Behandlung auf den Prüfstand stellen und die fachübergreifende Zusammenarbeit eines auf Brust spezialisierten Behandlungsteams. Etwas, was in der Sankt-Jürgens-Klinik bislang nicht gegeben ist.
Nach Klinikangaben soll ein Brustzentrum jährlich 150 neu an Brustkrebs erkrankte Frauen operieren und die Chirurgen müssen brustaufbauend operieren können.
Im Grunde müsste eine Klinik sogar 300 Operationen jährlich durchführen. Die DKG aber versucht, mit ihren Empfehlungen noch hinter die Quote von mindestens 150 Operationen an Neuerkrankten zurückzufallen –während die Expert/innen des Europäischen Bustkrebs-Netzwerks die EUSOMA-Kriterien dagegen noch schärfer fassen wollen. Außerdem muss es wöchentliche Fallkonferenzen aller beteiligten Ärzte geben. Das sehe ich bis jetzt im ZKH Sankt-Jürgens-Straße noch nicht gegeben. Mich verwundert, wie eine Klinik, die m. E. in der Behandlung von Brustkrebs nicht gerade den renommiertesten Ruf hat, sich selbst ein Brustzentrum nennt – zumal es dort meines Wissens keinen speziellen Brustchirurgen gibt. In Großbritannien zum Beispiel werden schon heute rund 95 Prozent aller Brustkrebspatientinnen von Brustchirurgen operiert. Die Ergebnisse sprechen für sich.
Nach den EUSOMA-Kriterien sollen Screening und Behandlung im gleichen Zentrum stattfinden. Davon ist im ZKH Sankt-Jürgen-Straße nicht die Rede.
Nach EUSOMA sollen Früherkennung und Behandlung tatsächlich möglichst an einer Stelle stattfinden. Im Europäischen Brustkrebs-Netzwerk meinen wir aber, dass auch an anderer Stelle gescreent werden kann, sofern die Screeningfachleute regelmäßig an den Fallkonferenzen teilnehmen. Eine Kombination von Screening und Behandlung im selben Haus halte ich für wünschenswert, aber das ist keine Bedingung.
Viele Frauen, die eine Brustkrebsdiagnose bekommen, denken zuerst ans Sterben. Umso dringlicher ist Beratung und Information. Welche Qualitätskriterien soll es da geben?
Wir wollen auch für Deutschland das in England entwickelte Berufsbild einer “breastnurse“, einer auf Erkrankungen der Brust spezialisierten Krankenschwester. Sie soll die Patientin von Anfang an begleiten und ein Bindeglied zwischen Arzt, Psychologe und Sozialarbeiter sein. Auch diese Leistung müsste regelmäßig überprüft und neu zertifiziert werden. Aber ich sehe die große Gefahr, dass die DKG die EUSOMA-Empfehlungen und künftigen europäischen Leitlinien zu unterlaufen versucht.
Wer ist in Bremen nun gefordert zu handeln?
Die Politik. Aber wohl überlegt. Europa empfiehlt pro 320.000 Einwohner ein Brustzentrum. Wir brauchen also zwei Zentren für unser Land. Außerdem muss ein Wettbewerb um Qualität und nicht um Krankenhausgröße gegeben sein. Die Politik sollte sich dabei an den EUSOMA-Empfehlungen orientieren, auf deren Basis es wahrscheinlich schon in einem Jahr europäische Zertifizierungskriterien geben wird. Und die sichern auf jeden Fall mehr Qualität als das, woran die DKG zur Wahrung von Eigeninteressen arbeitet. Dass in Deutschland im Medizinsektor immer noch jeder glaubt: Jeder kann alles und jeder darf alles, führt eben leider noch immer dazu, dass fast die Hälfte der an Brustkrebs erkrankten Frauen nach der Diagnose eine unzureichende oder falsche Behandlung bekommt.
Fragen: Eva Rhode
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