: Dunkelheit am Rand des Deltas
Er galt als Popstar des Jazz, dann fand er zurück zu den Balladen: Der Saxofonist Charles Lloyd spielt im Tränenpalast
In dem Buch „Jazz“ von Geoffrey C. Ward zur gleichnamigen Fernsehserie geht es auch um die Abrechnung mit dem „Ausverkauf des Jazz“: dem Verrat an den „wahren Werten“ einer Musikkultur, um ein größeres Publikum zu erreichen. Der Tenorsaxofonist Charles Lloyd wird hier als jemand vorgeführt, der „auf den fahrenden Zug aufspringt“, weil er 1967 als erster Jazzmusiker das Fillmore West Auditorium in San Francisco füllte, ein Ort, an dem üblicherweise Rockkonzerte stattfanden. Und das zu einer Zeit, als die Popularität des Jazz auf dem Nullpunkt war.
Damals verkündete das Time Magazine „die Ankunft der ersten psychedelischen Rockgruppe“. Gemeint war das Lloyd-Quartett mit dem damals 21-jährigen Pianisten Keith Jarrett, dem Bassisten Cecil McBee und Schlagzeuger Jack DeJohnette. Zu dieser Zeit trug John Lennon auf seinen Pressekonferenzen einen Zylinder mit der Aufschrift „Charles Lloyd“.
Lloyd war ein Popstar, der mit seinem roten Ferrari nach Big Sur fuhr und sich mit Love & Peace die Schlagwörter des Age of Aquarius zu Eigen machte. Er spielte auf den Platten von den Beach Boys, Canned Heat und The Doors. 1966 erschien sein großer Hit „Forest Flower“. Seine Alben tragen Namen wie „Love-In“ und „Nirvana“, er selbst sprach von „Musik-Religion“. Dann zog er sich zurück, gab Konzerte in Colleges, schrieb an einer Doktorarbeit. Er trat den Maharishi Manesh Yogi bei, hielt Vorlesungen in Gefängnissen und wurde Lehrer für transzendentale Meditation. Lloyd begriff sich als Medium für den verstorbenen John Coltrane, der „durch ihn hindurchspielte“.
1989 erschien Lloyds erstes Album für das ECM-Label, das auch schon Keith Jarrett und Jack DeJohnette eine neue gestalterische Freiheit eröffnete, die bei den großen marktorientierten US-Labels kaum noch möglich war. Mit den Pianisten Bobo Stenson und Brad Mehldau kamen die lang gezogenen intensiven Balladen zurück, über die sich die lyrischen, verletzlichen Melodien Lloyds wie ein schützender Teppich legen – eine der Lieblingsmetaphern des 1938 in Memphis Geborenen.
Damals spielte Lloyd in Blues-Bands, unter anderem mit B. B. King, später in Los Angeles mit Don Cherry. Seine lange Freundschaft mit dem Schlagzeuger Billy Higgins dokumentiert sein im letzten Jahr erschienenes Album „Hyperion With Higgings“. Ein Balladenalbum in einer für Lloyd ungewöhnlichen Quintett-Besetzung mit dem Gitarristen John Abercrombie. Higgins spielt Schlagzeug, Larry Grenadier Bass und Brad Mehldau Klavier. Die Aufnahmen entstanden im Dezember 1999 bei den „The Water is Wide“-Sessions mit der fünfteiligen „Darkness On The Delta Suite“. Ein Teil davon: „Robert Johnson On The Banks Of The Ganges.“ – „Hyperion“ wurde zu einem Requiem für Higgins, der wenige Monate nach den Aufnahmen starb.
MAXI SICKERT
Heute, 21 Uhr, Tränenpalast, Reichstagufer 17
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