: Vorsichtige Korrekturen
Branchenkrise gleich Buchhandelssterben? Die „Käthe-Kollwitz-Buchhandlung“ in Prenzlauer Berg will sich nicht geschlagen geben – und rückt mit reduziertem Sortiment und „gehobenem Zeitgeist“ zunächst einmal näher an ihre Kundschaft heran
von JANA SITTNICK
Ulrich Strunz läuft nicht in Prenzlauer Berg. In der „Käthe-Kollwitz-Buchhandlung“ in der Danziger Straße liegen die Bücher des Fitnesspapstes unbeachtet in den Regalen. Ingo Specht wundert das nicht. „Wenn man den sieht, weiß man doch alles“, sagt der Buchhändler mit der kleinen runden Brille und den halblangen Haaren, zeigt auf ein Foto des solariumgebräunten, Zähne bleckenden Ulrich Strunz.
Ingo Specht ist Ladenbesitzer und Buchhändler in einer problematischen Zeit. Der Branche geht es nicht gut: Für das Frühjahr 2002 meldete man vier Prozent Umsatzrückgang: „Kaufzurückhaltung“, „Konjunkturflaute“ und „Verunsicherung“. Die großen Buchhandelsketten reagieren auf die Krise mit Stellenabbau, Umstellung auf Kurzarbeit und Reduktion ihrer Verkaufsfläche.
Den kleinen Geschäfte, wie in Berlin zum Beispiel der „Kleist-Buchhandlung“ auf der Schönhauser Allee, fehlt der lange Atem. Sie müssen schließen, weil sie die Rezession ohne eine Kapitaldecke, die den Umsatzabsturz auffangen könnte, nicht überleben. Die „Käthe-Kollwitz-Buchhandlung“ in der Danziger Straße hält vorerst noch durch. Und Ingo Specht versucht, realistisch zu bleiben: „Plötzlich reden alle von der Krise des Buchhandels, weil es den Großen jetzt auch an den Kragen geht. Wir Einzelhändler sind schon seit sechs, sieben Jahren in der Krise.“
Specht ist genervt von dem Medienrummel, der mit Schlagwörtern auskommt und den Fokus auf die Buchhandelsketten wie Kiepert, Hugendubel und Thalia richtet. Für die „Käthe-Kollwitz-Buchhandlung“ waren die rosigen Zeiten, so Specht, spätestens 1996, mit dem Ende des „Aufschwung Ost“ vorbei.
Den Hauptgrund für die Misere in seiner Branche sieht Specht im „enormen Flächenzuwachs“ des Berliner Buchhandels, der mit der Ankunft bundesdeutscher Großketten wie Hugendubel, mit der Expansion des Berliner Großbetriebs Kiepert, vor allem aber mit dem Bau zahlreicher Einkaufscenter zustande kam. „In Prenzlauer Berg hat sich die Handelsfläche für die Ware Buch allein durch die Kiepert-Filiale in den Schönhauser-Allee-Arkaden verdoppelt“, sagt Specht – „die Kaufkraft jedoch nicht.“
Auch Detlef Bluhm hält die Veränderung der Kauflandschaft durch die „Shopping Malls“ für einen wesentlichen Aspekt des Buchabsturzes. „Der Mainstream der Kunden geht in die großen Center“, sagt der Geschäftsführer des Verbands der Verlage und Buchhandlungen Berlin-Brandenburg, „der angebliche Erlebniseinkauf hat sich durchgesetzt.“ In den letzten zwei Jahren hätten in Berlin, so Bluhm, dreißig kleine und mittlere Buchläden schließen müssen. Bei abnehmender Kaufkraft sei die Verkaufsfläche des Buchhandels mit dem Zuzug großer Ketten in den letzten vier Jahren um zwanzig Prozent expandiert. Der Hauptteil dieser Fläche befindet sich in den Centern, die vorrangig mit Filialen der Hamburger „Thalia Holding AG“ ausgestattet sind, Deutschlands führender Buchhandelskette.
Auch das auf Tradition bedachte Familienunternehmen Kiepert geht in die Malls. 1998 und 1999 eröffnete Kiepert vier neue Center-Dependancen, in Zehlendorf, Reinickendorf, Hellersdorf und Prenzlauer Berg – und verkauft jetzt Bücher zwischen Dessousboutiquen und Bratwurstständen. Doch die Marktdynamik schlägt zurück: Kiepert wird demnächst 25 Mitarbeiter entlassen, teilte die Geschäftsführung mit.
So eisig wie heute wehte der Wind lange nicht. Als Ingo Specht 1992 die „Käthe-Kollwitz-Buchhandlung“ eröffnete, muss es schön gewesen sein für den Existenzgründer, für den Einzelhandel im Kiez, für den Buchladen des persönlichen Vertrauens. Der „Aufschwung Ost“ machte es in den ersten Nachwendejahren möglich – nicht als Slogan der expansiven Bundeswirtschaft, sondern als Lebensgefühl, das sich in den Biografien von Leuten wie Specht, dem ehemaligen Betriebsbibliothekar, niederschlägt. „Als Siemens das Werk für Signal- und Sicherungstechnik in Treptow übernahm, wurde als erstes die Bibliothek geschlossen, und ich wurde arbeitslos“, erinnert sich der Vierzigjährige und lacht. „Kurz darauf wurde ich Ladenbesitzer. Als ehemaliger Angestellter des Volksbuchhandels hatte ich ein Vorkaufsrecht, wenn der Kaufpreis des Ladens, wie in meinem Fall, unter einer Million Mark lag.“
Bis 1995 ging es mit dem Geschäft bergauf, und danach, laut Specht, „stetig bergab“. Aber die „Käthe-Kollwitz-Buchhandlung“ ist immer noch da. Mit drei statt vier Angestellten, mit einem von zehn- auf siebentausend Titel reduzierten Sortiment, mit neuer Ladenausstattung – hellen Wänden, dunkelgrünen Regalen und Aufstellern, einer „Kinderecke“ im hinteren Teil und Büchern zum Zen-Buddhismus im Eingangsbereich. Mit „gehobenem Zeitgeist“ meint Specht den Geschmack seines „mittlerweile gut situierten Prenzlauer-Berg-Publikums zwischen 25 und 50“ zu treffen. Noam Chomskys globalisierungskritisches „Profit over people“ gehört dazu, ebenso Michel Houllebecq und Sebastian Haffner. Im seichteren Bereich verkaufen sich Wladimir Kaminers Schönhauser-Allee-Geschichten quasi als Heimatliteratur, dazu „Generation Ally“ und „Generation Golf“.
Specht ist stolz darauf, „keine Frau Hauptmann und keine Frau Lind“ zu verkaufen. Und Ulrich Strunz wird er vermutlich einfach auch nicht wieder bestellen. Überlebenskunst statt Lebenshilfe: Specht macht weiter.
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