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Der Phallus ist eine Frau

Ein Elefantenbulle ohne männliche Geschlechtsteile, Doris Day und durcheinander gebrachte Geschlechterstereotypen: Vortrag und Film über „Billy Rose‘s Jumbo“ im Metropolis

Der Elefant Jumbo ist die Hauptattraktion im Wonder Circus, der in den dreißiger Jahren dem Bankrott nahe durch die USA zieht. In diesem Zirkus ist nichts so, wie es scheint: Löwen sind Menschen, Seiltänzer Spione und Wahrsagerinnen ratlos. Vor allem aber bringt Regisseur Charles Walters die auf den ersten Blick heterosexuellen Geschlechtertypisierungen gründlich durcheinander.

So wird der Zirkus nicht vom spielsüchtigen Zirkusdirektor Pop Wonder (Jimmy Durante) geführt, sondern von seiner Tochter Kitty (Doris Day), die somit traditionell Männern zugeordnete Entscheidungen trifft. Sie übernimmt auch die fehlende Rolle eines Clowns, die eigentlich von Männern gespielt werden muss – wie man allerdings erst von dem hinzu kommenden Sam (Stephen Boyd) erfährt, der sich fortan die zuvor vakante Position des Patriarchen anzueignen versucht. Indem er Kitty in ihrer Selbständigkeit beschränkt, zwingt er sie in eine Bedürftigkeit, die einen starken Mann an ihrer Seite erst nötig macht. Insbesondere Brüche in der Darstellung des als männlich konnotierten Elefanten Jumbo sorgen für die Möglichkeit einer queeren Lesart: Er wird von Pop Wonder als Sohn gesehen („Er hat sogar Ähnlichkeit mit mir“), als „starker Bulle“ bezeichnet – doch von männlichen Geschlechtsteilen keine Spur.

Für die Medienwissenschaftlerin Claudia Reiche eröffnet diese offensichtliche Differenz von Bild und Benennung den Beginn einer symbolischen Interpretation: Da Jumbo keinen Phallus hat, muss er einer sein – der Ersatz für die fehlende Duchsetzungskraft seines „Vaters“ Pop Wonder, aber auch für die nicht vorhandene ökonomische Macht des gesamten Zirkus. Um das Phallus-Symbol Jumbo beneidet selbst der viel reichere Noble Circus den armen Konkurrenten.

Der in farbenprächtigem Materialrausch inszenierte Zirkus (Busby Berkeley brachte als zweiter Regisseur und Choreograph der Musical-Nummern seinen berühmten visuellen Stil aus den Filmrevuen der Dreißiger Jahre ein) bildet eine Geschlechterrealität ab, in der die Frau immer nur als das Andere des Mannes entworfen wird. Die von Sam im Film gestellte Frage: „Was ist ein Zirkus? Und was ist in ihm drin?“ bekommt so eine inhaltliche Nähe zu der queeren Problematisierung „Was ist eine Frau? Und was ist in ihr drin?“. Die Platzierung der Musik von Richard Rodgers und Lorenz Hart tut dazu ihr Übriges: „The most beautiful girl in the world / isn‘t Juno, isn‘t Venus / but between us“, tönt es; und in der Mitte steht der „starke Bulle“ Jumbo – das schönste Mädchen der Welt.

Der Hamburger Dachverband für Frauen, Medien und Kultur „bildwechsel“, der die Vorführung präsentiert, veranstaltet seit 2001 regelmäßig Abende im Metropolis. Mit Billy Rose‘s Jumbo wird die bisherige, an der Vorstellung eigener Produktionen orientierte Perspektive auf Ansätze erweitert, die sich theoretisch mit Filmmaterial beschäftigen. Claudia Reiche entwirrt in ihrem Vortrag „Sie denken, Jumbo ist ein Elefant ...“ das komplizierte Symbolgeflecht von Männlichkeit und Weiblichkeit, Aktivität und Passivität, Phallus-Haben und Phallus-Sein. Sie wird auch die im Film nicht beantwortete Frage klären: Wer ist eigentlich Billy Rose? Katja Strube

Vortrag mit Videoausschnitten von Claudia Reiche: Sonnabend, 19 Uhr; Film Billy Rose‘s Jumbo: Sonntag, 12 Uhr, beides Metropolis

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