Das Kino ist eine Frau

Quelles Déesses! In „8 Frauen“ hat der Regisseur François Ozon die großen französischen Leinwandheldinnen der vergangenen fünf Jahrzehnte vereint. Der Film ist Krimi, Musical und Zitatenkino in einem, er zeigt aber auch, wie nah man Hollywood mit dem europäischen Autorenfilm kommen kann

Seine Lust am Falschen ist auch Ausdruck einer Angst vor gelebtem Leben

von ANDREAS KLAEUI

Agatha Christie. Ein französisches Landhaus, eine wunderbar künstliche Winterszenerie in Technicolor-Farben, die niedliche Suzon (Virginie Ledoyen) kommt fürs Weihnachtsfest aus dem englischen Internat – ça fait chic – nach Hause. Es erwartet sie nicht nur ihre gesamte weibliche Verwandtschaft, sondern auch eine grässliche Entdeckung: Der Vater liegt am Morgen mit einem Messer im Rücken in seinem Bett. Die Mörderin kann nur eine der acht Frauen im Haus sein. Etwa die elegante Hausfrau (Catherine Deneuve), die im Grund nur sich selbst liebt? Ihre Schwester (Isabelle Huppert), der neidische Essighafen? Die Schwiegermutter (Danielle Darrieux) mit ihren undurchsichtigen Finanztransaktionen? Des Opfers Schwester (Fanny Ardant), die vipernzüngige Femme fatale? Oder gar das aufmüpfige neue Hausmädchen (Emmanuelle Béart) mit der perversen Ausstrahlung?

Acht Frauen. François Ozons neuer Film ist eine Bescherung: ein À-huis-clos-Krimi wie in den besten Storys von Agatha Christie, gespielt ausschließlich von Frauen. Was für Frauen! Die Besetzungsliste vereint die weiblichen tops of the tops von Hollywood-sur-Seine; es fehlen nur noch Jeanne Moreau oder Isabelle Adjani. Und: Sie sind fast alle zum ersten Mal zusammen auf einer Leinwand zu sehen. Danielle Darrieux und Catherine Deneuve waren schon bei Demy und Téchiné Mutter und Tochter, die anderen spielten noch nie gemeinsam in einem Film. Nach einer Anekdote wollte Ozon ursprünglich lediglich eine einzige Starschauspielerin engagieren und fragte zur Sicherheit mehrere an, worauf prompt alle zusagten. Das ist Unsinn, aber hübsch erfunden. Dafür kann man nun auf der Leinwand die hexagonalen Kinolegenden von den Fünfzigerjahren bis heute sehen: Max Ophüls' „Madame de …“ und Julien Duviviers „Marie-Octobre“, Claude Gorettas „Dentellière“ und Claude Chabrols „Madame Bovary“, Luis Buñuels „Belle de jour“ und Jacques Demys „Peau d'âne“, Claude Berris „Manon des sources“, François Truffauts „Femme d'à côté“ …

Ozons „8 femmes“ sind nicht nur acht Frauenfiguren, sondern auch acht vedettes. Bei den Dreharbeiten bedeutet das: acht Diven. Nicht die geringste Leistung des Regisseurs muss darin bestanden haben, Spannungen diplomatisch zu umgehen und dafür zu sorgen, dass Perfidie und Tigerklauen zwar im Film vorkommen, aber nicht auf dem Set.

Women. Wenn Catherine Deneuve zu Isabelle Huppert sagt: „Je suis belle et riche, alors qu'elle est laide et pauvre“, kreischt in Paris das ganze Kino über den vermeintlichen Gegensatz der schönen Reichen und der hässlichen Armen.

Ein Film nur mit Frauenrollen sei schon lange sein Wunsch gewesen; als er George Cukors Film „The Women“ wiedergesehen habe, habe er sich nach den Rechten für ein Remake erkundigt, sagt Ozon. Die liegen aber seit einigen Jahren bei Julia Roberts und Meg Ryan, also musste er sich nach einer anderen Vorlage umsehen. In einer französischen Boulevardkomödie aus den Sechzigern fand er sie. Der Autor, Robert Thomas, ist vergessen, er machte sein finanzielles Glück mit dem Verkauf eines anderen Stücks an Hitchcock; dieser hatte vor, es zu verfilmen, starb aber vorher.

Die Bühnenklischees der Fünfzigerjahren werden in „8 femmes“ zum Anlass für eine Hommage an die Ikonen Hollywoods: Ozons filmisches Pasticcio ist getrüffelt mit Referenzen an die Stars der Vierziger- und Fünfzigerjahre, an Lana Turner, Grace Kelly oder Cyd Charisse.

Im Zusammenhang mit dem neuen Erfolg der französischen Autoren-Blockbusters ist oft zu hören, Frankreich schlage Hollywood mit seinen eigenen Mitteln – und verliere dabei die Kultur. Wo die Kunst bei der Kalkulation eines Films auf der Strecke bleibt, ist der Vorwurf berechtigt, bei Ozons Reflex auf Hollywood greift er nicht. Wenn man genauer hinschaut, war ja gerade das Hollywoodkino der Vierziger- und Fünfzigerjahre ein ausgesprochen europäisches Kino: als die großen europäischen Cineasten dort arbeiteten und selbst Christian Dior seinen New Look (der daraufhin den Auftritt einer Generation von Kinostars prägte) nicht etwa in Paris, sondern in New York herausbrachte. Das Spiel mit der Kinogeschichte ist dabei ein vollkommen artifizielles Spiel, wie die mit heutigen technischen Mitteln hergestellte Technicolor-Ästhetik des Films eine vollkommen künstliche Atmosphäre erzeugt – oder wie die Hollywoodstudios damals vollkommen künstliche Göttinnen erzeugten.

Melancholie. Er habe als Kind am liebsten mit Puppen gespielt, bekennt Ozon, heute kleidet er sie in Dior-Rot (im Fall von Fanny Ardant) oder Tausend-Dollar-Blau (Catherine Deneuve) und verkleidet sie als Ava Gardner oder Rita Hayworth. Die Kunstwelt von „8 femmes“ ist eine erinnerte Welt.

Es beginnt mit der verschneiten Landschaft in der ersten Einstellung, der Baumwollschneedecke und dem kolorierten Kunstnebel, der direkt aus Douglas Sirks Film „All That Heaven Allows“ (1955) kommt, in dem Jane Wyman mit Rock Hudson Weihnachten feiert – bis auf den Hirsch bei Douglas Sirk, der bei Ozon zur Hirschkuh wird. Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten, sagt der Regisseur, sei es unmöglich gewesen, ein Tier mit Geweih zu finden. Glücklicher Zufall! Catherine Deneuve bezieht sich in Haltung und Gestik auf die Lana Turner von David Lowell Richs Film „Madame X“ (1966), Fanny Ardant hält sich wie Rita Hayworth in „Gilda“ von Charles Vidor (1946), Virginie Ledoyens Suzon ist Audrey Hepburn wie aus dem Gesicht geschnitten, Ludivine Sagnier der Leslie Caron von „An American in Paris“, bei Firmine Richard wartet man nur darauf, dass sie endlich mit Südstaatenblues eine „Miss Scarlet“ serviert …

So geht es weiter, und in einer Schlüsselszene ist ein Foto von Romy Schneider zu sehen. Hausherrin Catherine Deneuve fragt das Dienstmädchen Emmanuelle Béart, ob das ihre „ancienne maîtresse“ sei und ob sie sie geachtet habe: „Oui … je l'aimais …“, antwortet diese. Es wirkt, als ob Ozon damit sagen wollte: Sie müsste in meinem Film eigentlich mitspielen. Aber auch: Emmanuelle Béart hat (zum Beispiel in den Filmen Claude Sautets) die Rolle von Romy Schneider übernommen.

Bühnenklischees der Fünfziger werden zur Hommage an die Ikonen Hollywoods

Ikonen sind wie Phantasmen: Sie sterben nicht. Sie altern nicht einmal. An diesem Punkt tritt der Tod in sein Recht, der schon in Ozons früheren Filmen wie „Gouttes d'eau sur pierres brûlantes“ („Tropfen auf heiße Steine“) oder „Sous le sable“ („Unter dem Sand“) der heimliche Hauptdarsteller war – auch in diesem Krimi, in dem er als reiner Aufhänger für eine ausgesprochen lebensfrohe musikalische Komödie in den Hintergrund gedrängt schien (wie Yannick Barbe in einem hübschen Essay in Têtu darlegte): Kinobilder altern nicht, François Ozon schon. Mit „8 femmes“ inszeniert er auch seine eigene Angst vor dem Tod. Seine Lust am Falschen, sein Antinaturalismus sind auch der Ausdruck einer Angst, dass das Leben ihn einholen könnte, wie es Romy Schneider eingeholt hat.

In der Schlusseinstellung blicken alle acht Frauenfiguren, alle acht Schauspielerinnen, alle Göttinnen des Kinos frontal in die Kamera, Hand in Hand, und schauen François Ozon ins Gesicht. Sie schauen dem Zuschauer ins Gesicht, und auf einmal wird ihm klar, woher die sonderbare Melancholie rührt, die den Film zwischen Lust am Kitsch und Puppenspiel, zwischen schwarzem Humor und Glamour so sehr prägte.

Den Soundtrack dürfen wir nicht vergessen! In den Chansons, die die Handlung interpunktieren, können die Damen Persönlichkeit zeigen – die der Figur und die der Schauspielerin. Das erinnert ein wenig an Alain Resnais' Film „On connaît la chanson“: Da hatten die Chansons dramaturgisch eine ähnliche Funktion zu erfüllen. Plötzlich glitt der Filmdialog in eins der zahlreichen Kultlieder aus dem Repertoire des variété française, die in einem Kino in Frankreich alle mitsingen könnten. Im Unterschied zu Resnais' Chansonfilm singen sie aber die „8 femmes“ selbst, und Ozon hat für jede eine spezifische Choreografie erfunden. Wenn etwas camp ist an Ozons Film, dann sein Musicalaspekt. Das Vergnügen funktioniert über mehrere Ebenen: Die Stars der Music Hall treffen die Stars des Kinos von heute, die sich auf die Stars des Kinos von gestern beziehen.

Fanny Ardant spielt mit ihrem Handschuh wie Rita Hayworth in „Gilda“ und singt mit Veloursstimme Nicolettas „A quoi sert de vivre libre“, Emmanuelle Béart trägt einen Chignon wie Kim Novak in „Vertigo“ und singt erst mit Säuselstimme, dann mit energischem Ausbruch „Pile ou face“ von Corinne Charby (die mit diesem einzigen Hit zur Legende wurde), die Deneuve trägt als Hommage an die Vartan „Toi jamais“ mit der diskreten Rasse vollkommener Bourgeoise vor. Der Höhepunkt ist aber Isabelle Huppert, die in einer stilisierten Choreografie Françoise Hardys „Message personnel“ zelebriert, ohne dass man wirklich sagen könnte, sie singe. Einfach hyper. Und wovon handeln die Chansons? Von nichts als Männern natürlich.

„8 Frauen“. Regie: François Ozon. Mit Catherine Deneuve, Isabelle Huppert, Emmanuelle Béart, Fanny Ardant, Virginie Ledoyen, Danielle Darrieux, Ludivine Sagnier, Firmine Richard. Frankreich 2001, 108 Min.