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Weltstadt wenig weltoffen

Der Berliner Senat hat dem Ost-West-Europäischen Frauennetzwerk OWEN die komplette Förderung gestrichen. Gefährdet sind nicht nur Integrationsprojekte für Migrantinnen in der Hauptstadt, sondern auch ein europaweit tätiges NGO-Netzwerk

von ANETT KELLER

Eine ausgebaute Erdgeschosswohnung in Pankow, großer Flur, offener Blick in die Küche, eine voll bespickte Pinnwand über Regalen und zwei Frauen, die vor einer Weltkarte stehen. „Ah, Kasachstan“, ein Finger fährt nach Osten, mit Bleistift wird eine Luftlinie eingezeichnet.

Zu Hause bei OWEN, dem Ost-West-Europäischen Frauennetzwerk, das seit zehn Jahren Frauen aus Mittel- und Osteuropa zusammenbringt. Seit April läuft hier ein Integrationskurs, der Migrantinnen zur Initiative eigener Projekte ermuntert. Dafür treffen sich die zwanzig Teilnehmerinnen zweimal pro Woche. Im Kreis sitzend diskutieren sie, „was wir mit unseren Ressourcen anfangen können“, erzählt Monika Avanzato, die vor zehn Jahren aus Polen nach Berlin kam. Auf bunten Tafeln werden die Gedanken zu Projektideen gebündelt. Die neueste ist, dass russische Frauen ehrenamtlich in Schulen über Landeskunde aufklären. „Das liegt daran, dass die Kinder überhaupt nichts voneinander wissen“, sagt Monika. Auch dort, wo der Anteil an Migrantenkindern sehr hoch sei. „Da heißt es immer nur ‚die Russen‘, aber wie unterschiedlich die Regionen dort sind, weiß keiner.“ Monika „bricht es oft das Herz“, wenn sie im Kurs den Frauen zuhöre. Fast alle haben einen Universitätsabschluss, doch nach dem Sprachkurs sei hier Schluss für sie. „Da ist so viel ungenutztes Wissen. Doch die Frauen werden zum Sozialamt geschickt.“

Das Sozialamt als einzige Option – das will OWEN verhindern. „Frauen, die hierher kommen, sind keine defizitären Wesen, die assimiliert werden müssen“ sagt Geschäftsführerin Marina Beyer-Grasse. Die Frauen hätten „aufgrund von Erfahrungen, die wir hier nicht haben, ein unglaubliches Potenzial“. Ein Potenzial, das wesentlich half, ein europaweites NGO-Netzwerk zu knüpfen. Ein Frauenzentrum in der Ukraine, Multiplikatorinnenseminare in St. Petersburg und das Archiv Frauengedächtnis über das Leben von Frauen im Sozialismus sind nur einige der Projekte. Für ihr „bürgerschaftliches Engagement“ bekam Beyer-Grasse vor zwei Jahren das Bundesverdienstkreuz.

Heute sieht die Realität anders aus. Rot-Rot hat mit dem neuen Haushalt die Förderung für OWEN in Höhe von 161.000 Euro komplett gestrichen. Die Basisfinanzierung ermöglichte bislang den Betrieb der OWEN-Geschäftsstelle. Die Kürzungen bedeuten Kündigung der Arbeitsverträge und Aufgabe der Wohnung zum Jahresende. Frauensenator Gysi hatte zum Amtsantritt zwar versprochen, Frauenprojekte würden nicht gekürzt. „Berlin als Schmelztiegel und soziales Testlabor – auch daraus kann ganz Deutschland einen Nutzen ziehen“, schrieb Gysi noch vor einem Monat in der Berliner Zeitung. Kurz darauf war OWEN seine Basisfinanzierung los. Begründung: Die Arbeit des Vereins ziele auf Strukturen in Osteuropa. Für Migrantinnen in Berlin sei daher keine Verschlechterung zu erwarten.

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