piwik no script img

„Risiko für die Patienten“

Ärztekammerchef Jonitz erhebt schwere Vorwürfe gegen Klinikkonzern Vivantes. Besonders viele Klagen über Neuköllner, Wenckebach- und Humboldt-Krankenhaus

Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Günther Jonitz, hat schwere Vorwürfe gegen den städtischen Krankenhauskonzern Vivantes erhoben. „Das Risiko für Patienten in diesen Kliniken steigt“, sagte Jonitz gestern der taz. Hintergrund sind „eine Menge“ Beschwerden sowohl von Ärzten als auch vom Pflegepersonal, die bei der Ärztekammer eingegangen sind. Die Kritik der Krankenhausmitarbeiter: Es werde Druck auf sie ausgeübt, schneller zu arbeiten. Schneller, als gut für die Patienten sei.

Der Krankenhauskonzern Vivantes, zu dem zehn städtische Kliniken vor anderthalb Jahren zusammengefasst wurden, ist hoch verschuldet – und auf extremem Sparkurs. Im vergangenen Jahr wurden fast 1.000 Vollzeitstellen abgebaut, bis 2006 sollen es 3.700 sein. Bis dahin soll die durchschnittliche Verweildauer der Patienten, die im Jahr 2000 noch bei 10,7 Tagen lag und heute 10,1 Tage beträgt, auf 7,5 Tage gesenkt werden.

Noch sei kein Unfall passiert, sagte der Ärztekammerchef. Die Arbeitsbelastung der Klinikmitarbeiter aber sei enorm gestiegen. Wenn dann mehrere Faktoren zusammenkämen, wachse die Gefahr. „Wozu das führen kann, haben wir gerade bei dem Flugzeugzusammenstoß in Süddeutschland gesehen“, sagte Jonitz. Besonders viele Klagen gebe es aus dem Krankenhaus Neukölln, dem Wenckebach- und dem Humboldt-Krankenhaus.

Am Krankenhaus Neukölln hat bereits eine „Aktionsgruppe“, an der auch der Betriebsrat beteiligt ist, auf Missstände in der Klinik aufmerksam gemacht. Patienten würden wegen Bettenmangel auf den Stationsfluren untergebracht, durch Personalmangel leide die Qualität der Versorgung, heißt es in einem offenen Brief. Über 1.000 Beschäftigte und Patienten haben ihn bereits unterzeichnet. Vivantes hat dem Betriebsratsvorsitzenden Volker Gernhardt deshalb zwei Abmahungen geschickt, jetzt droht ihm die Kündigung.

Vivantes-Geschäftsführer Wolfgang Schäfer wies die Vorwürfe gestern als „absolut unzutreffend“ zurück: „Vivantes hat in allen Klinika eine überdurchschnittliche Personalausstattung.“ Das Unternehmen habe wie im Krankenhausplan vorgesehen Betten abgebaut und die Personalausstattung entsprechend reduziert. Dies sei notwendig für die Zukunftsfähigkeit von Vivantes.

Gesundheitssenatorin Heidi Knake-Werner (PDS), die im Aufsichtsrat des Klinikkonzerns sitzt, hat erst von der Presse von den Vorwürfen erfahren. Sie müssten geprüft werden, hieß es gestern in ihrer Verwaltung.

SABINE AM ORDE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen