: Den Delinquenten droht Dramatisches
Direktor Jean-Marie Leblanc hat die Tour de France zur vergleichsweise saubersten der großen Rundfahrten gemacht
BERLIN taz ■ Das gelbe Glück währte nur 24 Stunden. Nach nur einem Tag musste Erik Zabel die Spitzenposition der Tour de France an den Spanier Igor Gonzalez abgeben. Dessen Once-Team gewann das Mannschaftszeitfahren am Mittwoch in 1:19:49 Stunden, während Telekom sich besser hielt als erwartet, schlussendlich aber nur auf den zwölften Platz mit 2:47 Minuten Rückstand kam.
Ein Team, das beim mannschaftlichen Kampf gegen die Uhr womöglich besser abgeschnitten hätte als das auf den Sprinter Zabel zugeschnittene Team Telekom, ist das des Essener Rennstalls Coast. Doch man ist 2002 nicht dabei, ein Opfer der Einladungspolitik des Tour-Direktors Jean-Marie Leblanc. Der will seine Rundfahrt von allem separieren, was mit Doping assoziiert wird, und der Kapitän von Coast ist nun mal der Schweizer Alex Zülle, einer der ersten Radprofis, die im Zuge des Festina-Skandals 1998 Dopingvergehen gestanden hatten.
Der Schock traf tief ins Mark, als damals der französische Staat das Vertrauen in den Radsport verlor, dieser könne sich selbst regulieren. Die kommunistische Sportministerin Marie-George Buffet ließ Fahrer und Betreuer durchsuchen, torpedierte mit antibourgeoiser Respektlosigkeit das nationale Monument Tour de France und erließ ein scharfes Antidopinggesetz.
In der Folge traten Radsportler nur noch ungern Dienstreisen nach Frankreich an, die Angst vor einer Demütigung war groß. Diese Angst hat der Tour de France gut getan. Daniel Baal, ehemaliger Präsident des französischen Radsportverbandes FFC und jetziger Vizepräsident der Société du Tour de France: „Es muss in die Köpfe der Fahrer, dass ihr delinquentes Verhalten dramatische Konsequenzen hat.“ Dass mit Frankreich nicht zu spaßen ist, so Baal, hätten die Fahrer begriffen: „In Italien und Spanien hat man mittlerweile fast den gleichen Standard der Dopingbekämpfung wie bei uns. Aber wenn die Mannschaften zur Tour kommen, sind sie sehr darum bemüht, so sauber wie möglich anzutreten. Dass die Tour da einen besonderen Stellenwert hat, ist zwar irrational, aber wir sind froh darüber.“
Dass die Fahrer vor der Tour mehr Respekt haben als etwa vor dem Giro, hat man einem kompakten Maßnahmenpaket zu verdanken, dass seit 1998 installiert wurde. Die Société du Tour de France hat ein scharfes Kontrollsystem eingeführt: flächendeckende Blutkontrollen vor dem Start und eine Rekordzahl von 90 Epo-Tests am nationalen Labor in Chatenay-Malabry.
Innerhalb Frankreichs hat die Société eine breite Initiative zur Erneuerung des Radsports angestoßen. Ein zentrales Projekt dieser Initiative ist die genaue medizinische Durchleuchtung aller in Frankreich lizenzierten Fahrer, der so genannte suivi longitudiné, der Tour-Direktor Jean-Marie Leblanc relative Sicherheit gibt, dass es unbedenklich ist, französische Fahrer einzuladen. Lieber ein Feld aus namenlosen, sauberen Franzosen als aus gedopten, internationalen Stars, ist deshalb seine Politik, für die er viel Prügel bezog.
Steht ein Fahrer einer ausländischen Mannschaft im Ruch, etwas mit Doping zu tun zu haben, lädt Leblanc das Team wieder aus. So geschehen in diesem Jahr mit Saeco um den Giro-Sieger von 2001, Gilberto Simoni, dem Kokaingebrauch nachgewiesen wurde. Für Saeco rückte die junge französische Mannschaft Jean Delatour nach. Hundertprozentig konsequent ist Leblanc in diesem Punkt allerdings nicht. Die Mannschaft von Stefano Garzelli durfte in Luxemburg an den Start gehen, obwohl dieser während des Giros des Dopings überführt wurde. Und auch das Team Telekom hatte trotz der positiven Dopingprobe von Jan Ullrich nichts zu befürchten. Begründung: Simoni war als Kapitän von Saeco für die Tour gemeldet, Garzelli und Ullrich in ihren Mannschaften jedoch nicht.
„Es gibt kein systematisches Doping mehr im Radsport, nur delinquentes Verhalten Einzelner“, glaubt auch Daniel Baal. Und wahrscheinlich müssen die Verantwortlichen im Radsport so denken, wollen sie nicht ihr ganzes Tun in Frage stellen. Die Organisatoren der Tour de France haben jedenfalls ein funktionierendes Sicherungssystem geschaffen, und es ist wahrscheinlich, dass die Tour de France auch in diesem Jahr von größeren Dopingskandalen weitestgehend unbeeinträchtigt bleibt. Ob sie wirklich sauber ist und ob im Radsport seit 1998 tatsächlich ein Mentalitätswandel stattgefunden hat, steht auf einem anderen Blatt. Kurz vor Tour-Beginn sprach der Radsport-Weltverband UCI eine Warnung vor Dopingmitteln der neuen Generation aus: Nachfolgeprodukte des Blutdopingmittels Epo. Ein Nachweisverfahren für Dynepo wird nicht vor 2003 möglich sein. SEBASTIAN MOLL
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