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Auflösung in Ankara

Türkische Regierung bröckelt: Außenminister tritt von seinem Amt zurück und aus Regierungspartei aus. Gründung von Pro-Europa-Partei geplant

ISTANBUL taz ■ Der türkische Außenminister Ismael Cem ist gestern von seinem Amt zurückgetreten. Cem gab zugleich sein Ausscheiden aus der DSP, der Demokratischen Linkspartei von Ministerpräsident Ecevit bekannt. Auch Wirtschaftsminister Kemal Dervis trat gestern zunächst ab, zog seinen Rücktritt aber später auf Bitten von Premier Bülent Ecevit wieder zurück. Schon am Montag hatte sich Vizeministerpräsident Hüsamettin Özkan aus dem Kabinett zurückgezogen. Auslöser der Regierungskrise ist die schwere Krankheit Ecevits.

Bereits am Mittwochnachmittag hatten Reporter Cem, Dervis und Özkan bei einem Treffen gesichtet. Allerdings wollte niemand der drei Politiker eine offizielle Erklärung abgeben, doch schon bald sickerte durch, dass die Bildung einer neuen Partei geplant ist. „Eine neue Partei ist auf dem Weg“, jubelte die Tageszeitung Radikal in ihrer gestrigen Schlagzeile. Ein Ende der Krise, so suggeriert das Blatt, scheint in Sicht. Denn die neue Partei soll die glaubwürdigen proeuropäischen Kräfte des Landes bündeln.

Bislang hatte vor allem Außenminister Cem gezögert, diesen Schritt zu unternehmen, da er sich bis vor kurzem noch Hoffnungen auf eine geordnete Machtübernahme innerhalb der DSP gemacht hatte. Doch weil sich die Partei und damit auch die Regierung in einem täglich fortschreitenden Prozess der Selbstauflösung befindet, musste Cem sich entscheiden. Die Alternative zur Parteigründung wäre ein Wechsel zur kemalistisch-sozialdemokratischen CHP oder zur nationalliberalen Anap gewesen. Doch diese hätten kaum einen unbelasteten Neustart ermöglicht.

Bleibt für Cem und Özkan nun das Problem, innerhalb weniger Wochen einen schlagkräftigen Parteiapparat aufzubauen. Die Mindestvoraussetzung für die Beteiligung an Wahlen ist eine flächendeckende Präsenz in allen Provinzen des Landes. Sollte es also tatsächlich bereits Ende September oder Anfang Oktober zu Neuwahlen kommen – was die Pro-EU-Fraktion angesichts des EU-Erweiterungsgipfels Ende des Jahres in Kopenhagen für unabdingbar hält – kommt auf die Parteigründer viel Arbeit zu.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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