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Black in Bayreuth

Als Anwalt afrikanischer Literatur und Malerei hat Ulli Beier Akzente gesetzt. Unter seiner Leitung entwickelte sich das Iwalewa-Haus in Bayreuth zu einem wichtigen Zentrum zeitgenössischer afrikanischer Kunst in Deutschland. Zu seinem 80. Geburtstag wird er mit einem Symposium geehrt

Die Beiers spinnen um „ihre“ Künstler den Mythos des verborgenen Talents

von CORNELIA NICODEMUS

„Mein Leben hat 1950 begonnen. Alles was davor liegt, erscheint mir heute wie ein anderes Leben“, sagt Ulli Beier über sich. Denn 1950 ist das Jahr, in dem der in Hinterpommern als Sohn eines jüdischstämmigen Vaters geborene Ulli Beier nach Nigeria geht, in den britischen Kolonialdienst. In Phonetikkursen soll er den Studenten der Universität Ibadan eine ordentliche Aussprache beibringen. Qualifiziert hat er sich für den Job durch ein Fernstudium während seiner Internierung durch die Briten in Palästina im Zweiten Weltkrieg und durch eine Phonetikausbildung an der Universität London – dem einzigen Studienzweig, der Ausländern Ende der Vierzigerjahre in England offen stand.

In Nigeria findet Ulli Beier seine Heimat. Keine zweite Heimat, vielmehr ein Zuhause. „Die hatten keine Schubladen und Etiketten. Ich war einfach Ulli Beier für die“, erinnert sich der rüstige 80-Jährige, wenn er vom Volk der Yoruba spricht, deren Kultur er in den Fünfziger- und Sechzigerjahren noch in einem Zustand vorfindet, für den er bis heute den Begriff „traditionell“ gebraucht – trotz aller Veränderungen, die die Kolonialzeit bereits bewirkt hatte.

Beier lernt vor allem wichtige Männer kennen, so den Timi, den König von Ede, wo Beier sich niederlässt, als er in die außeruniversitäre Erwachsenenbildung wechselte, um den Zwängen der Kolonialbourgeoisie zu entkommen. Der König mit der Apothekerausbildung gehört zu den aufgeklärten einheimischen Würdenträgern, die in der Zeit vor der Unabhängigkeit die Kluft zwischen einheimischer Kultur und kolonialer Realität zu überbrücken wissen: Er initiiert Beier in die Ogboni-Kultgesellschaft und gewinnt so nicht nur einen Freund, sondern auch ein wortgewaltiges Sprachrohr für die Belange der Yoruba-Kultur.

Aus dieser doppelten Zugehörigkeit zu Europa und Afrika heraus wird Beier zum Mittler zwischen den Kulturen: Statt seine Studenten mit Beowulf und Chaucer, Milton und Wordsworth zu traktieren, führt er sie an die Werke der Négritude heran, in Ermangelung einer eigenen zeitgenössischen Literatur in den englischsprachigen Kolonien. Dazu übersetzt er selbst Gedichte Leopold Senghors. Zudem regt er seine Schüler an, die literarischen Schätze ihrer eigenen Kultur zu heben.

Später wird Ulli Beier neben Anthologien mit Werken afrikanischer Autoren vor allem Theaterstücke, Mythologie und Lyrik der Yoruba herausgeben. Mit den führenden Köpfen der einheimischen Intelligenz wie Wole Soyinka, dem Literaturnobelpreisträger von 1986, und Chinua Achebe, der dieses Jahr den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels erhält, gründet Beier 1957 die Literaturzeitschrift Black Orpheus; 1961 folgen der Mbari-Club in Ibadan und 1962 der Mbari Mbayo Club in Oshogbo. Zeitschrift und Clubs werden zu Plattformen für die künstlerisch-politische Artikulation der nigerianischen Intellektuellen. In dieser Zeit entsteht ein Netzwerk, von dem Beier bis zum heutigen Tag zehrt.

Mit seiner zweiten Frau Georgina, einer britischen Malerin, die seit 1959 im nordnigerianischen Zaria Kunst unterrichtet hatte, wird Ulli Beier in den frühen Sechzigerjahren zum Begründer und Agenten der so genannten Oshogbo-Schule. In verschiedenen Workshops, die teils von Georgina geleitet werden, führen sie einige junge Männer an Malerei, Druck und verschiedene Kunsthandwerkstechniken heran. In der künstlerisch-ästhetischen Tradition der klassischen Moderne stehend, spinnen die Beiers um „ihre“ Künstler den Mythos des verborgenen Talents, das nur eines Anstoßes bedurfte, damit sich das Genie Bahn brechen konnte.

Die Frage, inwieweit die Oshogbo-Künstler stilistische Vorlagen der europäischen Kunstgeschichte kannten, ist nach wie vor ungeklärt. Sicher ist aber, dass der Public-Relations-Meister Ulli Beier dafür sorgt, dass Künstler wie Twins Seven Seven, Muraina Oyelami, Rufus Ogundele und Adebisi Fabunmi über die Grenzen Nigerias hinaus bekannt werden. Dabei erweist sich als Vorteil, dass die meisten nicht nur Maler, sondern auch Schauspieler in der Theatertruppe des nigerianischen Theaterautoren Duro Ladipo und Musiker sind; so sind sie vielfach zu vermarkten. Bereits in den Sechzigern schickt Beier sie mit Ladipos Theatertruppe in die Welt hinaus.

1967 ziehen die Beiers an das andere Ende der Welt, nach Port Moresby in Papua-Neuguinea, wo Ulli Beier Lektor für zeitgenössische englische Literatur aus Entwicklungsländern wird. Wieder interessiert ihn die Situation des Umbruchs, wieder engagiert er sich für die Emanzipation der in der Kolonialgesellschaft marginalisierten einheimischen Kultur. Wieder initiieren Georgina und Ulli Beier Workshops, aus denen Künstler hervorgehen, um deren internationale Anerkennung sie sich bemühen.

Anfang der Achtzigerjahre übernimmt Beier die Leitung des Iwalewa-Hauses, des Zentrums für zeitgenössische afrikanische Kunst der Universität Bayreuth. Er will das Haus eher als Begegnungsstätte denn als Museum führen und bekommt dafür offiziellen Segen. Doch obwohl er in den Siebzigern sogar zweimal, in Nigeria und Papua, als Fakultätsdekan fungiert, bleiben ihm Akademiker und der Wissenschaftsbetrieb stets suspekt. So zeigt er sich etwa in seiner publizistischen Beschäftigung mit der Yoruba-Kultur von den wissenschaftlichen Diskursen in der Ethnologie seltsam unberührt. Dass es dabei zu Konflikten zwischen Beier und seinen akademischen Mitarbeitern sowie der Uni-Verwaltung kommt, verwundert nicht.

Andererseits liegt das Konfliktpotenzial gerade auch darin begründet, dass das Iwalewa-Haus nicht in die übliche Universitätsarchitektur passt. Um Ausstellungen im Iwalewa-Haus machen zu können, lädt Beier seine Künstler aus Nigeria und Papua als Artists-in-Residence nach Bayreuth ein. Frei von Zwängen ihres heimatlichen Dritte-Welt-Alltags, können und sollen sie im Iwalewa-Haus künstlerisch arbeiten und ausstellen. Dass die Besitzverhältnisse einiger der in dieser Zeit entstandenen Arbeiten bis auf den heutigen Tag ungeklärt sind, mag man als den Preis ansehen, den die Künstler für die Patronage Ulli Beiers zahlen mussten.

Bayreuth profitiert von den zahlreichen Aktivitäten im Iwalewa-Haus: Kaum ein Monat ohne Ausstellungen, Lesungen oder Konzerte. Es gibt Afro-Discos im Stenohaus, dem damaligen Verwaltungsgebäude der Universität, und Workshops für interessierte Bürger. Wole Soyinka und Chinua Achebe sind Gäste, die Nigeria-Connection brummt. Gleichzeitig lädt Beier auch Vertreter der akademischen Malerei in Afrika wie Ibrahim El Salahi und Obiora Udechukwu ins Iwalewa-Haus ein.

Unter seiner Leitung wird das Haus tatsächlich zu einem Zentrum für zeitgenössische afrikanische Kunst – zu einer Zeit, in der man in Deutschland nur die traditionelle Kunst im Völkerkundemuseum bewundert und zeitgenössische afrikanische Kunst noch gar nicht wahrgenommen wird. Das Konzept geht auf: Mit seiner umfangreichen Sammlung zur afrikanischen Moderne wird das Haus Leihgeber für richtungweisende Ausstellungen in Deutschland, Europa und den Vereinigten Staaten, und Anfang der Neunzigerjahre kooperiert es in Sachen Kulturbegegnung oft mit dem noch jungen Haus der Kulturen der Welt in Berlin.

Lokale Unternehmer und Vereine geben – begeistert durch das Charisma der Person Beier – gerne Geld für dessen Projekte, und nicht nur in der fränkischen Provinz entstehen durch Beiers Vermittlung private Sammlungen zeitgenössischer afrikanischer Kunst. 1991 organisiert Baier eine große Yoruba-Ausstellung, in er die traditionelle Yoruba-Kunst und die Arbeiten der Oshogbo-Künstler als moderne Vertreter der Yoruba nebeneinander stellt: So kommen auch die Oshogbo-Künstler wieder ins Gespräch.

Neben Ausstellungen wird in den späten Achtzigerjahren die Musik ein zunehmend wichtiger Bestandteil dieses Konzeptes. Beier nutzt das Haus, um seinem jüngsten Sohn Tunji, der in Nigeria und später in Südindien als Trommler ausgebildet wird, Auftrittsmöglichkeiten zu verschaffen. Mit den Trommlern unter den Oshogbo-Künstlern tritt Tunji Beier in der Rolle des Wunderkinds bereits Ende der Siebzigerjahre auf Festivals auf.

Später geht Vater Beier dazu über, gezielt namhafte Partner für seinen Sohn ins Iwalewa-Haus einzuladen, darunter Größen der damals entstehenden Weltmusikszene wie die Dissidenten, Charlie Mariano und die Musiker des südindischen Karnataka College of Percussion. Auch hier wieder erkennt und nutzt Beier einen Trend: Vor allem bei den Jam-Sessions experimentieren Musiker verschiedener Musiktraditionen miteinander und entwickeln eine neue Musiksprache, die bald Rundfunksender und Musikkritiker auf die Aktivitäten in Bayreuth aufmerksam macht. Aus der losen Folge der Konzerte, die seit Anfang der Neunzigerjahre gar im barocken Gepränge des Markgräflichen Opernhauses stattfinden, geht 1994 das Festival „Grenzüberschreitungen“ hervor.

1997 begibt sich Beier 75-jährig in Rente und zieht nach Australien. Das Iwalewa-Haus wird von seinem Nachfolger, dem Kunstethnologen Till Förster an die akademische Kandare genommen, das Thema der außereuropäischen Gegenwartskunst wird zunehmend im Haus der Kulturen der Welt in Berlin oder den ifa-Galerien verhandelt. Unter Tunji Beiers Leitung erlebt das Festival „Grenzüberschreitungen“ noch einige glanzvolle Jahre, gerät aber ab 2000 in die künstlerische Krise. Konkurrenz hat es da längst in Form zahlloser Weltmusikfestivals bekommen.

Nun ist es die quasi Enkelgeneration im Iwalewa-Haus, die Ulli Beier mit einem Symposium zu seinem 80. Geburtstag ehrt. Der neue Iwalewa-Chef Tobias Wendl und sein Mitarbeiter Peter Probst haben eine umfangreiche Gästeliste alter Weggefährten, Schüler und Kollegen eingeladen, Dokumenta-Chef Okwui Enwezor setzt darauf ein internationales Glanzlicht. An diesem Wochenende werden sie im alten Gemäuer des Iwalewa-Hauses Rückschau halten auf jenes short century (Okwui Enwezor), dessen Verständnis ohne die Anerkennung Beiers unvollständig bliebe.

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