Gar nicht so verkorkst

Die sehenswerte Delmenhorster Korkausstellung auf dem Nordwollegelände zeichnet die Geschichte des Korks in der Arbeitswelt und in der Kunst nach. Stilbildend war Kork allerdings nie

Die antiken Tempelruinen von Paestum strahlen stoische Gelassenheit aus, daneben erhebt sich majestätisch eine mittelalterliche Burg über dem Rhein. Nur wenig weiter sitzt ein Arbeiter auf einem harten Holzschemel und schabt mühsam Späne von dicken Holzstücken. Ganz am Ende der Zeitleiste hüpft ein schräger Aktionskünstler im Korkmantel durch die Straßen und überrascht verdutzte Passanten.

Europäische Geschichte ist auch Korkgeschichte. Diesen Eindruck vermittelt jedenfalls die Ausstellung „Total verkorkst!? Kork – Geschichte, Architektur, Design“, in den Museen des Delmenhorster Nordwollegeländes. Sie zeigt die Geschichte des nachwachsenden Rohstoffs, vom Arbeitsalltag in der Korkfabrik bis zu seiner Verwendung für Architekturmodelle und originelle Aktionen.

Zwar gedeiht die Korkeiche gar nicht in klammen nördlichen Gefilden, sondern nur am Mittelmeer. Ein geeigneter Platz für die Schau ist Delmenhorst trotzdem, denn die Korkverarbeitung hat hier Tradition: Seit dem 18. Jahrhundert werden gewerblich Korkprodukte hergestellt. Stempel und Rettungsringe bestehen zwar heute meist aus Kunststoffen, die Fabriken bestehen aber heute noch.Und der Bedarf für verkorkte Weinflaschen ist nicht gesunken.

Die Entwicklung Delmenhorsts zur Korkmetropole begann mit den „Proppensniedern“, die die breiten Rindenstücke zerteilten und dann rund schnitzten, um damit Flaschen zu verschließen (für kleine Arzneiampullen durften auch gern mal die Kinder ran). Waren die Korkschnitzer anfangs noch selbständig, erzählt Museumsführerin Julia Franke, begann mit der Industrialisierung ihre Abhängigkeit von den Fabrikherren. Trotzdem fühlten sich die Korkarbeiter privilegiert – der Volksmund dichtete gar: „Delmenhorstens Weltruf künden / Jute, Kork, Linoleum“.

Dass dieser Kunststoff in Delmenhorst seit dem späten 19. Jahrhundert hergestellt wird, schmälerte den Umsatz mit dem Bodenbelag Kork nicht: Linoleum besteht zum Großteil aus Korkmehl, das aus den Resten der Produktion gewonnen wird.

Neben der Geschichte der gewerblichen Korkverarbeitung zeigt die Ausstellung auch Kork-Kunst. Im klassizistischen Italien nämlich entwickelte sich eine Modellbaukultur, Künstler wie Antonio Chichi bildeten aus Kork meist antike Gebäude wie das römische Pantheon nach, andere schnitzten detailliert mittelalterliche Burgen. Phelloplastik, also Korkbildnerei, heiße diese Kunstrichtung, erklärt Expertin Franke. Mit den Modellen schmückten dann Adel und Reiche ihre Repräsentationsräume.

In den 90er Jahren bescherte der deutsche Künstler Dieter Cöllen der Korkbildnerei eine Renaissance. Auf Modernes wollte aber auch er sich nicht einlassen: Seine Plastiken stellen die antiken Tempelruinen von Paestum dar.

Wenn der Titel der Ausstellung Architektur verspricht, ist damit also eher die verkleinerte Abbildung gemeint: Kork fand zwar als Baustoff zur Isolierung oder als Bodenbelag Eingang in die Architektur, nie aber als stilprägendes Element wie etwa der Backstein in der Gotik.

Ein drittes Gesicht offenbart die vielfältige Rinde als Element moderner Kunst. Die avantgardistische Designerin Eileen Gray gestaltete in den 20er Jahren Möbel aus Kork, das Künstlerduo „Maxim Korki“ geistert in Anzug, Zylinder und Stiefeln aus Kork in deutschen Innenstädten des 21. Jahrhunderts herum und dokumentiert die Aktion mit Fotos. Das Museum zeigt die Bilder, natürlich auf einer Korkleinwand.

Ob die beiden Künstler den Arbeiterschriftsteller Gorki bewusst als Namenspatron gewählt haben? Die Austellung im Fabrikmuseum jedenfalls macht deutlich, wie sich im Werkstoff Kork Arbeit und Kunst gleichermaßen wiederfinden. slk

Museen der Stadt Delmenhorst, Am Turbinenhaus 10-12, 27749 Delmenhorst, geöffnet Di – So 10 – 17 Uhr, bis 15. September