piwik no script img

berliner szenen Abseits der Love Parade

Krachen lassen

Auf dem Weg zur Love Parade liegt jemand vornübergestürzt am U-Bahnhof Gneisenaustraße. Während er seine glatten Schuhe und die glitschigen Stufen verflucht, glüht die Schürfwunde an seinem Arm in der Sonne. Eine Frau fragt, ob sie ihn zur nächsten Notaufnahme bringen soll, doch da wird er noch wütender, schließlich ist er ja nicht bloß zum Spaß aus Bielefeld nach Berlin gekommen, sondern wegen der Love Parade, und da will er jetzt hin, bitte schön, hahaha.

Später weht der erste Bass die Treppen zum U-Bahnhof Uhlandstraße herunter. Es ist kein schlechter Bass, er liegt gut im Magen, drückt ein wenig aufs Knie und macht, dass eine Schülergruppe auf dem Mittelstreifen am Ku’damm in den Rabatten herumspringt. Der Bass kommt von einem schwarzen Truck, der für Coca-Cola wirbt, die mit einem neuen Getränk am Start sind: „Burn“ ist ein kohlensäurehaltiger Energy-Drink, der mit Taurin und Guarana angereichert wurde, damit der Raver es auch nach acht Stunden Parade noch ordentlich „krachen lassen“ kann, wie Dr. Motte das nennt, was er mit „Access Peace“ meint. Die jungen Leute im Blumenbeet haben dagegen schon was anderes zu sich genommen, die wollen gar nicht mehr rüber zur Straße des 17. Juni, die wollen bloß übereinander her und in die Beete.

Am anderen Ende des Ku’- damms steht ein betrunkener Rave-Fan mit rotem T-Shirt und grüner Kampftrinkermütze. Er hat seine Gruppe verloren, mit der er aus Delmenhorst angereist ist. Jetzt fragt er eine ältere Dame, wie er zum Zug kommt, der schon seit einer Stunde unterwegs sein muss. Sie schickt ihn zum Bahnhof Zoo und sagt tröstend: „Machen Sie sich mal keine Sorgen, seit der ICE fährt, gehen viel mehr Züge von Berlin ab als früher.“ HARALD FRICKE

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen