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Die Lügen der frühen Jahre

Die Dokumentation „Hitlers Eliten nach 1945: Journalisten – Diener der Macht“ (ARD, 21.45 Uhr) zeigt, dass der deutsche Journalismus bei der Verarbeitung der eigenen Nazi-Vergangenheit versagte

von STEFAN REINECKE

„Sie sind ein Verleumder“, brüllt Henri Nannen, Chef des linksliberalen Stern und früher NS-Kriegsreporter. Vis-a-vis sitzt Gerhard Löwenthal, ZDF-Rechtsaußen, der als Jude versteckt den NS-Terror überlebt hatte. Löwenthal hat Nannen vorgeworfen, 1944 von den Folterungen von Partisanen gewusst zu haben. Es ist der 20. Dezember 1970. Zwanzig Millionen Zuschauer sehen dieses TV-Duell, bei dem Nannen moralisch, rhetorisch und später auch juristisch als Sieger hervorgeht.

In diesem Zwist gab es nur vermischte Wahrheiten. Löwenthal lag im Konkreten falsch – und hatte im Großen aus den falschen Gründen Recht: Seine Attacke zielte im Grunde auf Brandts Ostpolitik, die der Stern unterstützte. Andererseits war sein Angriff plausibel: Die westdeutschen Elite-Journalisten leugneten ihre Verstrickung in die NS-Propaganda geradewegs. Nannen log coram publico: „Ich habe nie für den Völkischen Beobachter geschrieben“, rief er entrüstet. Doch der „Kriegsberichterstatter Nannen“ hatte nicht nur heroischen Kriegskitsch verfasst („Ein Flaksoldat besteht seine Feuerprobe“), sondern auch für das NS-Blatt geschrieben.

Diese Szene, das erste Bild in „Journalisten – Diener der Macht“, hat eine seltsame doppelte Patina: Es zeigt, dass die Vergangenheitsbewältigung selbst Vergangenheit ist – allerdings, gerade bei Journalisten, keine abgeschlossene. Denn auch Zeit, Spiegel und Stern waren in den Fünfzigerjahren keine antifaschistischen Trutzburgen gewesen. Später klammerte der Eifer journalistischer Vergangenheitsbewältigung die eigene Geschichte meist sorgsam aus.

So lautet die Anklage des Films, die Indizien sind erdrückend. Im Spiegel waren in den Fünfzigerjahren zwei von fünf Ressortleitern, Horst Mahnke und Georg Wolff, Ex-SS-Hauptsturmführer. Mahnke war Mitglied des berüchtigten Vorkommandos Moskau, dem Massenliquidierungen vorgeworfen wurden. In den Sechzigerjahren wechselte Mahnke zu Springer, der bekanntlich die Unterstützung Israels zu seiner Sache gemacht hatte. Auch als Axel Springer von Mahnkes Vergangenheit erfuhr, blieb der Ex-SS-Mann einflussreich: Philosemitisch zu sein und brauchbare Exnazis zu schützen, das war kein Widerspruch. Das ist geradezu ein Sinnbild für die Doppelmoral der Republik, für die Lüge der frühen Jahre.

Die Absolution und die folgende Amnesie waren lagerübergreifend. Exnazis machten, von Ausnahmen wie der Frankfurter Rundschau abgesehen, rechts wie links ohne viel Nachfragen Karriere. In den Redaktionen saßen jüdische Emigranten und SS-Offiziere Tür an Tür. Schade, dass es die Filmemacher Wilhelm Reschl und Kurt Schneider versäumen, zum Beispiel den jüdischen Springer-Journalisten Ernst Cramer zu fragen, wie er sich damals fühlte.

Die Kontinuität der journalistischen Elite nach 1945 verkörpert niemand so drastisch wie Giselher Wirsing. Bei den Nazis war er Starjournalist, seine Hetzschriften gegen die USA oder England fand Goebbels lesenswert. Klandestin arbeitete er für den Sicherheitsdienst der SS. Der Karriereknick 1945 währte nicht lange, Anfang der Fünfzigerjahre war Wirsing Chefredakteur von Christ und Welt, der damals größten Wochenzeitung, und schrieb Artikel, die Adenauer mit seinem Namen unterzeichnete. Die Liste solcher Beispiele ist lang.

Das Resümee ist klar: Für den Journalismus gilt das Gleiche wie für Justiz, Ärzte oder Unternehmer: Die Stunde null war Fiktion, der Eliteaustausch fand nur bedingt statt, und später wollte davon keiner mehr etwas wissen.

Auch in dieser Hinsicht war das Duell Nannen – Löwenthal typisch für die Geschichtsverarbeitung: Es gab hier und dort halbe Enthüllungen, doch oft dienten sie anderen Zwecken.

Formal regiert in der Serie „Hitlers Eliten nach 1945“ leider der marktgängige Stil: Die Schnitte sind schnell, im Hintergrund tönt unentwegt ein unheilvoller Sound, der eine Dauerbotschaft aussendet: Die Vergangenheit ist dunkel, böse, schicksalsvergangen – obwohl doch Grund und Ziel der Sendung das exakte Gegenteil, nämlich der Versuch der Aufklärung ist. In dieser Faction-Ästhetik geht alles schnell, ein Tremolo von Bildern, Worten, Off-Kommentaren, musikalischen Gefühlsbotschaften. Diese Mischung überreizt die Wahrnehmungsfähigkeit und unterfordert die Intelligenz.

Diese Geschichten wären es wert gewesen, ruhiger, klüger erzählt zu werden. (Man kann sie übrigens in dem soliden Buch zum Film nachlesen: „Karrieren im Zwielicht“, herausgegeben von Norbert Frei.) Denn diese Geschichten zeigen, wie doppelbödig die Republik (nicht nur) in ihrem Anfang war. Ihr Antifaschismus war abstrakt. Worauf es ankam, die konkrete Biografie, blieb gnädig ausgespart.

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