: Großreinemachen in Jülich
Der Atomforschungsreaktor Jülich soll nun doch ganz abgebaut und nicht nur „sicher eingeschlossen“ werden. Bund und Land streiten um die Finanzierung des Projekts
KÖLN taz ■ Seit 1992 sollte der Forschungsreaktor im nordrhein-westfälischen Jülich schon komplett stillgelegt sein. Doch das Ziel, den Reaktor „sicher einzuschließen“, ist bis heute nicht erreicht worden. Dafür sind die Kosten angestiegen: Statt der geplanten 39 Millionen hat das Projekt inzwischen 190 Millionen Euro verschlungen. Im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), das die Stilllegung zu 90 Prozent finanziert, spricht man selbst von einem „desolaten“ Projektverlauf.
Der Bundesrechnungshof hat sich jetzt des Falls angenommen. Seine Bewertung fiel vernichtend aus. „Bei Beibehaltung der bisherigen Situation und des Arbeitstempos wird das Projekt statt der ursprünglich geplanten 4 Jahre voraussichtlich mindestens 18 Jahre in Anspruch nehmen“, warnte er den Haushaltsausschuss des Bundestages. Die Kosten würden sich dabei von ursprünglich 39 Millionen auf 215 Millionen Euro mehr als verfünffachen.
Die Bundesregierung versucht es jetzt auf einem anderen Weg: „Grüne Wiese“ heißt das geänderte Projektziel. Der Reaktor soll nicht mehr nur bis zu einem späteren Abriss eingeschlossen, sondern gleich ganz abgebaut werden. Nach Schätzungen des Bundesrechnungshofs bedeutet das aber auch zusätzliche Kosten von 300 Millionen Euro – die Endlagerung radioaktiver Abfälle immerhin bereits miteingerechnet. Außerdem will das BMBF den Forschungsreaktor gemeinsam mit den zu 100 Prozent bundeseigenen Energiewerken Nord (EWN) übernehmen.
Beim Bundesrechnungshof klingeln hier die Alarmglocken. Rechtlich sei der Bund weder verpflichtet, den Reaktorrückbau durchzuführen noch ihn zu finanzieren, heißt es. Das Grundstück gehört dem Land Nordrhein-Westfalen, der Reaktor selbst der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor (AVR), an der 15 kommunale Versorgungsbetriebe beteiligt sind. Die AVR und das Land müssten deshalb auch für den Rückbau der Anlage verantwortlich sein, meint der Bundesrechnungshof.
Der Haushaltsausschuss des Bundestages hat sich dem angeschlossen und am 26. Juni einstimmig gefordert, dass sich das Land NRW mit mindestens 30 Prozent an den geschätzten künftigen Kosten von 300 Millionen Euro beteiligen soll. Auch die Gesellschafter der AVR, also die Gemeinden, müssten angemessen beteiligt sein. Mit einer „Rückfallklausel“, wonach der Reaktor automatisch an die AVR und das Land zurückfallen würde, wenn das Projekt nicht wie geplant fortschreitet, solle darüber hinaus sichergestellt werden, dass nicht der Bund auf dem Reaktor sitzen bleibt.
„Die Bundesregierung hat im Jahr 2000 voreilig Verpflichtungen übernommen, die sie gar nicht hat“, kritisiert Dietrich Austermann, haushaltspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Er wirft der rot-grünen Regierung deshalb einen leichtfertigen Umgang mit Steuergeldern vor. Das Land als Grundstückseigentümer müsse in die Verantwortung genommen werden.
Das BMBF sieht sich hingegen durch die Forderung des Bundesrechnungshof, dass sich das Land an den Kosten beteiligen müsse, in seiner Position gegenüber NRW gestärkt. Die Staatssekretäre im Bundesfinanzministerium sowie im BMBF, Manfred Overhaus und Uwe Thomas, sollen schon in Düsseldorf vorstellig geworden sein. Für Nordrhein-Westfalen könnte sich die fehlende Absicherung aus Berlin schnell zu einem neuen haushaltspolitischen Problem entwickeln. Der Bund habe bisher auch zu 90 Prozent die Kosten getragen, heißt es wohl auch deshalb beim Wirtschaftsministerium Dort will man, wenn es denn irgend möglich ist, lieber nichts an der bisherigen Aufteilung ändern. DIRK ECKERT
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