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Mann ohne Eigenschaften

61 Tage vor der Wahl fragt sich das ZDF, warum Edmund Stoiber eigentlich Kanzler werden will – und präsentiert den Kandidaten als politisches Chamäleon: „Der Kampf ums Kanzleramt“ (21.00 Uhr)

von STEFAN REINECKE

Edmund Stoiber mag keine Fototermine. Er mag es, anders als Schröder, nicht, sich in Szene zu setzen – und es fällt ihm ziemlich schwer, das zu verbergen. Einmal sehen wir im Porträt verzweifelte Fotografen, die versuchen, ein Bild von Edmund Stoiber nebst Gattin Karin zu machen. Es soll nach glücklicher Familie aussehen: Der Kandidat, der gern in Akten liest, ein Kontrollfreak, dem Spontanes eher unheimlich ist, soll so menschlicher, wärmer wirken. Aber es will nicht gelingen: Stoiber tut, was die Fotografen sagen, er hebt den Arm, richtet den Blick in die Ferne. Aber es bleibt lustlose Pose, und für einen knappen Moment sieht es aus, als würde Edmund Stoiber den Arm zum Hitlergruß emporrecken.

Kein bösartiges Porträt

Thomas Fuhrmann und Ulf Röller haben durchaus kein bösartiges Porträt gedreht. Der Off-Kommentar lässt zwar kritische Distanz erkennen, Bilder und Musik reden oft eine andere Sprache. Zu Beginn nimmt der Kandidat schon mal das Kanzleramt in den Blick – und die Kamera macht seinen Blick zu unserem. Am Ende verleiht ein barocker Sound Stoibers Kampagne etwas Heroisches. Oder wir sehen das Ehepaar Stoiber, Arm in Arm am Strand vor donnernden Wellen – ein Urlaubsfoto.

Doch die Grenze zwischen Familienidyll und Peinlichkeit ist schmal. Einmal fragt der Autor, was Edmund Stoiber an seiner nun wahlkampfrelevanten Frau besonders möge. Verlegenes Lächeln, Suchen nach Worten, Ringen mit der Grammatik – am Ende weiß man, dass Edmund Stoiber an seiner Gattin mag, dass sie „familienorientiert“ ist.

Das Schröder-Porträt von Claus Richter (taz vom 9. Juli) war dichter, klarer. Dieses Feature wirkt diffuser – das liegt nicht an den Autoren, es liegt an Edmund Stoiber. Warum, so die Frage, die der Film ratlos umkreist, will der Mann eigentlich Kanzler werden? Viel schlauer ist man auch nach diesem Film nicht. Schröder ist der Aufsteiger, der immer weiter nach oben wollte. So funktioniert er, daher sein Geltungsdrang, seine Selbstinszenierungskunst, daher der Antiutopismus. Wer sich hocharbeitet, wer Klassen-, Bildungs- und Kulturschranken überspringt, für den zählt nur das Praktische.

Und Stoiber? Ihn treibt grenzenloser Ehrgeiz. Aber woher rührt der? Die Mutter hat dem kleinen Edmund mal Adenauer als Vorbild präsentiert: katholisch, humanistisch gebildet, erfolgreich. Aber dass Stoiber nur einen Auftrag seiner Mutter ausführt, das ist zu küchenpsychologisch. Er will Kanzler werden, sagt eine anderer, um sich endgültig von Franz Josef Strauß, seinem überlebensgroßen Vorbild, zu emanzipieren – dafür muss er erreichen, was Strauß gottlob misslang: Kanzler werden.

So zäh wie beflissen

Dieses Motiv macht eine berückende Szene aus dem Archiv plausibel: Strauß entwirft eine Rede, Stoiber schreibt beflissen mit. Strauß schätzte seinen Ziehsohn, weil der „seinen Kopf hinhält, selbst wenn es ihn ihm kostet“. Ein Redakteur der Süddeutschen meint: „Strauß und Stoiber, das war Herr und Knecht“ – immerhin war er damals schon CSU-Generalsekretär. „Ich war am Anfang mehr Sekretär als General“, sagt Stoiber heute in einem seltenen Anflug von Ironie.

Will er deshalb ins Kanzleramt, eine späte Flucht aus dieser Knechtschaft? Man weiß es nicht. Auch nach dieser dreiviertel Stunde, nach Interviews mit ihm und Frau Karin, mit Gruppenbildern aus der Toskana, Fotoshooting mit dem Enkel, nach Bildern von seinem Auftritt bei George W. Bush, weiß man nicht viel mehr. Je näher man hinschaut, umso rätselhafter schaut der Kandidat zurück. Sein Ehrgeiz scheint irgendwie grundlos, nicht einmal das marktübliche Motiv – Lust an der Macht – steht ihm richtig.

Die bayerische SPD-Politikerin Renate Schmidt schließlich kommt dem Phänomen Stoiber wohl am nächsten. Sie meint: „Stoiber ist wie das Amt, das er hat. Als Generalsekretär von Strauß ist er ‚das blonde Fallbeil‘, als bayerischer Innenminister Hardliner, als Ministerpräsident Landesvater.“ Das klingt banal und gerade deshalb einleuchtend.

Stoiber treibt weniger, er wird getrieben, er verkörpert, was die Rolle verlangt. Dass er sich anpasst, ist kein Opportunismus, sondern Charakterzug. Deshalb funktioniert die Wahlkampf-Inszenierung des Kandidaten als „Mann der Mitte“ auch so gut. Stoiber ist, was von ihm erwartet wird. Vielleicht wirkt seine Verbissenheit auch deshalb erträglich: Sie ist eigentlich nicht persönlich gemeint.

Wenn Edmund Stoiber im September Kanzler wird, dann kommt auf die Infotainment-Branche harte Zeiten zu. Sie wird es mit dem langweiligsten Kanzler zu tun haben, den die Republik je hatte.

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