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Von der Institution gefangen

„Schön zu sein ist eine legitime Aufgabe der Kunst“: Der neue Chef der Frankfurter Schirn-Halle, Max Hollein, vertritt in einer jungen Elite von Kuratoren die Gegenposition zu Okwui Enwezor. Ein Porträt

Zum Imagetransfer gehört, dass die Institution Brisantes zu behandeln wagt

von HENRIKE THOMSEN

Mit der documenta 11 erlebt in diesen Tagen die alte Frage, wie politisch engagiert Kunst sein sollte, eine frische Kontroverse. Chefkurator Okwui Enwezor wäre der Letzte, der einer abgetrennten Kunstwelt und einem auratischen Werkbegriff das Wort reden würde. Enwezor befindet sich, obwohl er diese offiziell anfeindet, im schönsten Einklang mit den Avantgarden des 20. Jahrhunderts, die stets versuchten, das Kunstwerk aus dem „Elfenbeinturm“ der Museen und Akademien zu befreien und es zu politisieren.

„Viele Arbeiten sind angewiesen auf den Kontext der Aura innerhalb der Institution. Diese hilft ihnen dabei, überhaupt erst ein Kunstwerk zu werden. Auch die radikalste Konzeptkunst wird irgendwann von der Institution eingefangen und archiviert“, sagt dagegen der seit Oktober amtierende Leiter der Frankfurter Schirn-Halle, Max Hollein. Und auch sonst bildet der 33-Jährige innerhalb der jungen Kuratorenelite, die die internationale Kunstwelt künftig bestimmen wird, so ziemlich in allem den Gegenpol zum dem wenige Jahren älteren Nigerianer Enwezor.

Hollein wuchs als Sohn des führenden österreichischen Architekten Hans Hollein in Wien auf. Beim Anblick einer Michelangelo-Statue in seinem Schulbuch, so schrieb er einmal in der Zeit, habe er zu seinem Banknachbarn gesagt: „Der war auch schon bei uns zum Abendessen.“ Die Anekdote freilich signalisiert keinen elitären Dünkel, der Hollein beim Gespräch in seinem kleinen Schirn-Büro völlig abgeht. Doch sein von klein auf enges Verhältnis zu Künstlern und Kunst bescherte ihm die selbstverständliche Binnenperspektive des Privilegierten. Zugleich wirkt Hollein, in Krawatte und Anzug vor den Plakatentwürfen für seine künftigen Ausstellungen sitzend, überraschend wohl erzogen und brav. Auf die Frage, ob Kunst lieber unterhalten und ablenken sollte, antwortet er: „Ich glaube, Kunst hat unter anderem das Vermögen, große Emotionen auszulösen. Und die müssen nicht nur auf der negativen Seite liegen. Nehmen Sie die Scherenschnitte aus dem Spätwerk von Matisse. Sie hatten die Aufgabe, einen Ort der Schönheit rund um den kranken Maler zu kreieren. Das ist in meinen Augen eine legitime Aufgabe.“

Mitte der Neunzigerjahre, während Enwezor anlässlich der Johannesburg-Biennale 1997 eine völlige Neuordnung des Ausstellungsbetriebs zu fordern begann, lernte Hollein sein Handwerk im New Yorker Guggenheim-Museum. Dessen Chef, Thomas Krens, verschaffte dem weihevollen Rahmen und dem kulinarischen Verständnis von Kunst ein globales Comeback und festigte in Form von Wanderausstellungen und spektakulären Neubauten die Bedeutung des Museums an sich. Krens’ Schüler Hollein, der zuvor in Wien neben Betriebswirtschaft Kunstgeschichte studiert hatte, trug zu diesem Erfolg bei. Unter anderem überwachte er den Aufbau der Filialen in Berlin und Las Vegas, organisierte Ausstellungstourneen wie „The Art of the Motorcycle“ und „Meisterwerke der Albertina“.

Sollte Enwezor den schwarzen Rächer und Hollein den neokonservativen Wahrer des westlichen Kulturimperialismus darstellen? Der Gedanke wäre lächerlich schlicht. Der Documenta-Chef legte in Kassel nach allen provokativen Debatten immerhin eine Ausstellung nach allen Regeln der Kunst hin, in der auch politisch Unbeleckte auf ihre Kosten kommen. Hollein unterdessen widmete seine erste Frankfurter Schau „Frequenzen“ einem der experimentellsten Felder der zeitgenössischen Kunst – der Schnittstelle zwischen Sound-, Video- und Installationskunst. Die Arbeiten von Ryoji Ikeda, Franz Pomassl oder Mika Vainio sind meist nur einem kleinen Expertenkreis von Festivals wie der „Ars Electronica“, der „Transmediale“ oder der „Manifesta“ vertraut. In der Schirn-Halle erhielten sie großzügig Platz, um ihr beunruhigendes Spiel mit Sensomotorik und synästhetischer Wahrnehmung vor dem Publikum zu entfalten.

Nebenan präsentierte sich, in einer gepflegten Kabinettausstellung, das malerische Werk von Arnold Schönberg. Der Komponist, der nicht nur mit der Zwölftonmusik experimentiert hatte, sondern auch mit expressionistischen Farbvisionen, setzte sozusagen den nostalgischen Kontrapunkt zu „Frequenzen“ und fungierte als Trostbonbon für strapazierte Zuschauer. Nach diesem Reißverschlussprinzip greift Holleins gesamtes Ausstellungsprogramm ineinander. Für den Herbst plant er eine große Ausstellung zum Zeitgeistthema „Shopping“, ab Ende Dezember aber will er die allseits geschätzten Scherenschnitte von Matisse zeigen.

„Sie müssen Ausstellungen im Programm haben, die populärer sind, damit sie andere stützen“, sagt Hollein. Die Ausstellungen selbst sollten für ihn so gemacht sein, „dass sie auf verschiedenen Ebenen rezipierbar sind. Wenn Sie in ‚Shopping‘ kommen, werden Sie als Erstes fulminante Leihgaben aus dem 20. Jahrhundert erleben, mit Werken von Eugène Atget über Warhol bis zu Andreas Gursky und Rem Kolhaas. Sie können das sehr spielerisch erleben, aber auch sehr intellektuell und theoretisch. Man darf Kunst nicht a priori eine einseitige Wahrnehmung aufzwängen.“

Man könnte auch sagen: Mit einem beherzten Jein macht man es allen recht, den Provokations- und Sensationslustigen, den Intellektuellen und dem Laufpublikum. Aber der Direktor einer Kunsthalle sieht sich tatsächlich durchwachseneren Ansprüchen ausgesetzt als ein Festivalleiter, obwohl beide in Ermangelung einer eigenen Sammlung Kunst als transitorisches Ereignis inszenieren müssen.

Für Hollein kommt das kulturpolitisch ungnädige Klima der Stadt Frankfurt erschwerend hinzu. Vor seinem Antritt hatten die Stadtväter eine Anhebung seines Etats versprochen. Später ließen Steuerausfälle sie wankelmütig werden. Das gesamte neue Jahresbudget betrage im besten Fall knapp fünf Millionen Euro. Mit dem reinen Ausstellungsetat davon kann Hollein gerade eine große Schau bestreiten. Den Rest muss er über Sponsoren abdecken. Und dafür hat sich die Geschäftsmetropole sicher genau den richtigen Mann geholt – einen international gut vernetzten Manager, der sich auf dem Parkett des Kunstbetriebs sicher zu bewegen weiß.

Hollein möchte sich darauf nicht reduzieren lassen. „Mittlerweile sind doch alle Museumsdirektoren zu Marketingprofis geworden“, glaubt er. „Aber man kann Sponsoren auch erziehen. Zum Imagetransfer gehört dann, dass die Institution Brisantes zu behandeln wagt. Ich hätte hier ein ganzes Programm der klassischen Moderne machen können. Aber dagegen kann man sich wehren. Man kann ganz andere Ausstellungen wagen, auch wenn man das System als Ganzes akzeptiert.“

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