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Geschlossener Protest

Experten kritisieren Konzept zu geschlossenen Heimen: Das schütze nicht die Gesellschaft und schade den Jugendlichen. GAL startet große Anfrage zu dem Thema

Die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) kritisert Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU). Deren Konzept für geschlossene Heime sei „aus fachlichen, pädagogischen und kriminologischen Erkenntnissen und Erfahrungen heraus als katastrophal verfehlt“ zu bezeichnen. Der Vorstand fordert den Senat auf, das Konzept (taz berichtete mehrfach) nicht zu beschließen.

Der Fachverband der Heimerziehung und der erzieherischen Hilfen mit Sitz in Frankfurt hält das Konzept für rechtlich hoch problematisch. Denn Kinder und Jugendliche dürften „nur wegen akuter Fremd- oder Eigengefährdung für Leib und Leben“ in Obhut genommen werden. Dabei gehe es immer um das Wohl des Kindes, keineswegs um die Gefährdung von Eigentum und öffentlicher Ordnung. Die Experten halten das Vorhaben aber auch für „pädagogisch verfehlt“.

Alle empirischen Untersuchungen zur geschlossenen Unterbringung hätten gezeigt, „dass die Betreuung im Zwangskontext für die Gestaltung pädagogischer Prozesse und für eine positive, gemeinschaftsfähige persönliche Entwicklung junger Menschen eher hinderlich ist“. Gerade die „besonders Schwierigen“ würden in geschlossenen Gruppen nicht erfolgreicher betreut als in anderen Hilfeformen. Außerdem sei die Weglaufrate aus geschlossenen Gruppen etwa so hoch ist wie aus offenen.

Die IGfH fürchtet außerdem, dass das Vorhaben die „Hamburger Jugendhilfe um Jahrzehnte zurückwerfen wird. Statt einer präventiv ausgerichteten, partnerschaftlich agierenden Jugendhilfe drohe in Hamburg nun wieder „der Muff einer obrigkeitlich-eingreifenden Fürsorge“. Eltern mit Erziehungsproblemen dürften Hemmungen haben, um Hilfe zu bitten. Es drohe außerdem ein Verschiebebahnhof: Einrichtungen können versucht sein, schwierigere Kinder schneller abzuschieben.

Gegen geschlossene Heime demonstrierten gestern auch Sozialarbeiter. Sie trugen „Schließer-Jastram go Heim“-Plakate in die Behörde. Die GAL-Abgeordnete Dorothee Freundenberg will mit Hilfe einer großen Anfrage außerdem mehr über Konzept, Finanzierung, rechtliche Grundlagen und personelle Ausstattung der geschlossenen Heime erfahren. SAN

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