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Eine gute Polizei lernt aus Fehlern

Am Sonntag kam in Hamburg ein Mann bei einem Polizeieinsatz ums Leben. Die genaue Todesursache ist noch ungeklärt, sicher ist, dass er von einer Polizeikugel schwer verletzt wurde, bevor er von einem Parkdeck in Altona zehn Meter tief stürzte. Ein Hamburger Kriminologe analysiert für die taz hamburg den Fall und das Verhalten der Polizeiführung

Der Eindruck kommt auf, dass hier an die Stelle einer ergebnisoffenen Aufklärung ein vorschneller und pauschaler Rechtfertigungsreflex tritt.

von WERNER LEHNE

Zweifellos kann man die Ereignisse vom vergangenen Sonntag, bei denen ein 36 Jahre alter Mann in den Tod stürzte, nachdem er von einer Kugel aus der Waffe eines Polizisten getroffen worden war, als tragischen Unglücksfall bezeichnen. Es scheint keine Anhaltspunkte dafür zu geben, dass der Schuss absichtlich abgegeben wurde, und möglicherweise ergeben die weiteren Ermittlungen, dass der Mann auch ohne diesen Schuss zu Tode gekommen wäre.

Genauso ist es keine Frage, dass es grundsätzlich richtig war, dass die Beamten sich bei diesem Einsatz mit gezogener und durchgeladener Waffe sicherten. „In einem Gerangel könne sich (...) schnell unbeabsichtigt ein Schuss lösen“, soll laut Hamburger Abendblatt vom 15.7.02 Joachim Lenders (Landesvorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft und CDU-Bürgerschaftsabgeordneter) gesagt haben. Und Die Welt vom 15.7.02 zitiert ihn mit den Worten: „Nach meinem bisherigen Kenntnisstand war die Eigensicherung der Beamten in Ordnung, der Tod des Mannes ein tragischer Unglücksfall.“

Auch Polizeipräsident Nagel und Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger sprechen laut Welt vom 16.7.02 von einer „klaren Eigensicherungssituation, die sich in eine Rettungssituation wandelte“. Es ist durchaus möglich, dass genauere Kenntnisse über die Besonderheiten der Einsatzsituation zu dem Ergebnis führen, dass dem Beamten weder im strafrechtlichen Sinne noch im Sinne professionellen Vorgehens ein Vorwurf zu machen ist. Die Gewissheit, mit der die genannten Herren dies aber von vornherein annehmen, ist nicht nachvollziehbar und lässt den Eindruck aufkommen, dass hier an die Stelle einer ergebnisoffenen Aufklärung ein vorschneller und pauschaler Rechtfertigungsreflex tritt.

Ein versehentlich aus einer Dienstwaffe sich lösender Schuss ist kein hinzunehmender Betriebsunfall, sondern stellt eine massive Gefahr für alle Beteiligten, auch für die Beamten und ggf. für Unbeteiligte dar. Und da, wie Herr Lenders zutreffend ausführt, sich bei einem Gerangel sehr leicht ein Schuss aus einer durchgeladenen Waffe lösen kann, gehört es natürlich zu den Pflichten eines Polizeibeamten, solche hoch gefährlichen Situationen zu vermeiden. Personenüberprüfungen, Festnahmen etc. werden aus diesem Grunde zu zweit durchgeführt, ein Beamter sichert mit gezogener Waffe aus hinreichender Distanz die Situation, der zweite Beamte begibt sich, bewusst ohne gezogene Dienstwaffe, in die Reichweite der zu überprüfenden Person.

Ist ein Beamter in einer Situation alleine, gehört es ebenso zu den Regeln professionellen Handelns, sich mit gezogener Waffe nicht bis in die Reichweite der zu überprüfenden Person zu begeben, sondern Verstärkung anzufordern und auf diese zu warten. Von der Einhaltung dieser Prinzipien können Menschenleben abhängen. Allein deshalb sollte ein Verstoß gegen die vorgenannten Regeln, wie er offenbar vorgelegen hat, nicht als Betriebsunfall abgetan werden, sondern bedarf der gründlichen Aufarbeitung.

Vielleicht war der Ablauf wirklich so, wie LKA-Chef Rheinhard Chedor laut taz vom 16.7.02 nahe legt. Vielleicht hatte der Beamte sich mit gezogener Waffe in ordnungsgemäßem Abstand zu dem Verdächtigen befunden und sich diesem nur deshalb und ohne weiter nachdenken und die Schusswaffe wegstecken zu können, in Reichweite genähert, weil dieser plötzlich zu springen oder abzustürzen drohte. Dann könnte man in der Tat von einer menschlich nachvollziehbaren und moralisch nicht vorwerfbaren Spontanreaktion mit tragischen Folgen ausgehen. Gleichwohl sollte selbst bei einer solchen Konstellation der Vorfall Anlass dafür sein, zu überprüfen, ob bzw. welche Möglichkeiten es gibt, auch solche Ausnahmesituationen zukünftig ohne die Gefahren unkontrollierter Schussabgabe zu bewältigen.

Eine strafrechtliche Sanktionierung des beschuldigten Polizeibeamten dürfte im vorliegenden Fall ziemlich unwahrscheinlich sein, selbst wenn die Ermittlungen Fehler im Sinne professionellen Handelns ergeben sollten. Das ist aber von daher auch in Ordnung, als individuelle Verantwortung und Schuld im strafrechtlichen Sinne relativ voraussetzungsvoll und im vorliegenden Fall wahrscheinlich nicht gegeben sind.

Worum es hingegen gehen muss, das ist eine zukunftsgerichtete fachliche Aufarbeitung des Vorfalls. Eine gute Polizei ist nicht eine, der keine Fehler passieren, sondern eine, die mit ihren Fehlern und missglückten Einsätzen offen umgeht und aus ihnen lernt.

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