piwik no script img

Der Preis der festen Bindung

Szenen einer Ehe: Durch den Umzug des Tempodroms stehen die „Heimatklänge“ vor einer Zäsur. Das fünfzehnte Jahr droht für Berlins populärstes Musikfestival auch das letzte zu werden

von DANIEL BAX

Jede Beziehung gerät irgendwann einmal an den Punkt, wo sich die Frage stellt: Soll man den weiteren Weg gemeinsam beschreiten, oder sollte man nicht besser eine Trennung in Ehren einleiten. Für die Heimatklänge, über eine Dekade Berlins erfolgreichstes Musikfestival und Freiluft-Event, stellte sich diese Frage im vergangenen Jahr. Das Tempodrom stand vor dem Umzug in sein neues Domizil, und das „Heimatklänge“-Team vor der Entscheidung: mitziehen mit dem Partner, mit dem man lange und wechselvolle Jahre durchlebt hatte, oder sich lösen und eine neue, unabhängige Existenz aufbauen. Man entschied sich – ob aus sachlichen Zwängen oder romantischen Erwägungen heraus, bleibt ein Geheimnis – dem Tempodrom die Treue zu halten.

Jetzt wird geheiratet, und zwar mit großem Aufgebot. Im verflixten fünfzehnten Jahr schwören die Heimatklänge ganz auf das traditionelle Institut der Ehe, die Heirat, und bieten feierfeste Hochzeitskapellen aus aller Welt auf. Ganz offensichtlich liegt auch hier dem Rückgriff auf das altbewährteste aller Rituale die Hoffnung zugrunde, dass daraus neuer Schwung erwachsen möge. Denn die Flucht unter die Haube des neuen Tempodrom-Betonzelts geht mit einer deutlichen Zäsur daher: Nicht länger finden die Konzerte an der frischen Luft statt. Nicht länger erstrecken sich die Heimatklänge über sechs bis acht Wochen à fünf Abende in Folge – auf nur mehr vier verlängerte Wochenenden ist das Programm geschrumpft, jeweils von Freitag bis Sonntag. Bei all diesen Minusrekorden kann man lediglich auf eine Steigerung verweisen: Der Eintrittspreis hat sich, im Vergleich zum Vorjahr, locker verdreifacht und beträgt jetzt stolze 10 Euro. Gegen jede betriebswirtschaftliche Vernunft hofft man mit diesem radikalen Schritt die Kosten aufzufangen.

Das dürfte den Besuch der „Heimatklänge“ auch für treue Fans diesmal zur ernsthaften Beziehungsprobe machen, zumal das Traditionsfestival sein Monopol in der Stadt verloren hat. In diesem Sommer buhlten gleich drei Stätten mit dem Tempodrom um ein Publikum, das sich für kosmopolitische Klänge, vulgo „Weltmusik“ genannt, erwärmen mag, und boten ausgiebige Gelegenheit zum Fremdgehen. Da ist das Haus der Kulturen der Welt, das mit seiner aktuellen Musikreihe „pop d’europe“ vor allem solche internationalen Fusion-Projekte präsentiert, die sich von allzu störenden Folklore-Spuren bereinigt zeigen. Da ist die Museumsinsel, die bewährten „Weltmusik“-Granden wie George Dalaras, Yann Thiersen oder Gilberto Gil einen würdigen Rahmen bot, allerdings auch für luxuriöses Eintrittsgeld. Und da ist der Tränenpalast, der in dieser Saison einige interessante Neutöner präsentierte, die sich auch bei den „Heimatklängen“ gut gemacht hätten. Seitdem die Mutter aller Weltmusik-Festivals vor fünfzehn Jahren startete, hat sich die Szene eben beträchtlich ausdifferenziert: der Preis des Erfolgs einer Idee.

Das Besondere an den „Heimatklängen“ ist stets deren visionäre Mischung aus Populismus, Exotik und Experimentierfreude gewesen, die der Schlitzohrigkeit ihres künstlerischen Leiters Christoph „Akbar“ Borkowsky geschuldet war. Dieser hat nun, offenbar ehescheu, die Programmverantwortung auf Mitarbeiter übertragen, die seine Arbeit weiterführen. Auch das stark reduzierte Programm besticht nun wieder, in seiner Ausgewogenheit und Klasse, durch bewährte Qualitäten: Es bietet alte Weggefährten auf wie den Klezmatics-Trompeter Frank London, der schon im allerersten „Heimatklänge“-Jahr dabei war und der sich mit dem jugoslawischen Boban Markovic Orkestar verbündet hat, zum All Star Ensemble. Es lässt mit der spektakulären Banghra-Kapelle Achanak aus London Raum für Überraschungen. Es verspricht gediegene Unterhaltung mit dem ersten Deutschland-Konzert des legendären Orchestre Baobab aus dem Senegal. Und es spekuliert auf die Migranten-Communitys vor Ort, in dem es das vielköpfige Hochzeitsensemble des türkischen Klarinettisten Hüsnü Senlendirici und dessen Partner Laco Tayfa auffährt. So laden die Heimatklänge in ihrem fünfzehnten Jahr noch einmal zum Feiern, als wäre es das letzte Mal. Diese Gefahr besteht nun allerdings leider tatsächlich.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen