piwik no script img

Die Stechblume im Straßenasphalt

Phönizien aus der Asche: Zwölf Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs strebt die Musikszene im Libanon nach neuer Blüte. Doch standardisierte Popformeln, die Monokultur der Medien und die Zensur lassen wenig Raum für alternativen Ausdruck

von THOMAS BURKHALTER

Chaos dominiert auf den Straßen. Gegen Süden, durch Beiruts Armenviertel, sind Geisterfahrer an der Tagesordnung, und auf der Autobahn in Richtung Tripoli wird so riskant überholt, dass Glück hat, wer im täglichen Stau stecken bleibt und sich Hupkonzert und arabischen Pop aus den Autos nebenan anhören darf. Mit dem Lärm scheinen die Libanesen ihrer Frustration über ein System Ausdruck zu geben, das auch nach dem Abzug großer Teile des syrischen Militärs aus der Hauptstadt nicht funktioniert und, spätestens seit den jüngsten weltpolitischen Entwicklungen, unter enormem Druck steht.

Zwölf Jahre nach dem Bürgerkrieg, der von 1975 bis 1990 zehntausende Tote forderte, ist Libanon hoch verschuldet. Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weit auseinander, die Arbeitslosenquote ist immens und der Exodus der Jugendlichen und Intellektuellen kaum aufzuhalten. Premierminister Rafiq Hariri sieht eine konsequente Modernisierung, ein Mitziehen bei der Globalisierung, als einzigen Ausweg. Am Platz der Märtyrer, im Bürgerkrieg das Epizentrum der Verwüstung, ließ er das neue Stadtzentrum bauen. Kaum ein Drittel der zumeist osmanischen Bauten wurde dabei renoviert; und so stehen heute Banken, Luxusgeschäfte, teure Hotels, futuristische Glas- und Marmorpaläste dort, wo einst Straßencafés und Marktgassen eine arabische Metropolenkultur leben ließen.

Privileg der Reichen

Das Bild, das Popmusik und TV im Libanon bieten, ist das kulturelle Äquivalent dieser standardisierenden und disziplinierten Aufbaupolitik. Die Anzahl der Fernsehstationen im Libanon ist in der arabischen Welt unerreicht. Privatsender wie LBC, Future TV, Murr TV, ART, Manar oder NBN versorgen den arabischen Raum und per Satellit die ganze Welt mit Seifenopern, Popclips und News und machen Beirut, neben Dubai und Kairo, zu einem Knotenpunkt des „panarabischen“ Popmarktes. Die Niederlassung der Rotana-Company, des größten Poplabels, befindet sich unter einem Dach mit dem TV-Giganten ART, und auch EMI-Libanon hat sich ein stattliches Büro eingerichtet. Der französische Vertriebschef Pascall Gaillot plaudert gerne über die „verrückte arabische Popwelt“: Selbst als Labelmanager habe er kein Gratisticket zum sündhaft teuren Silvesterkonzert des ägyptischen Superstars Amr Diab erhalten. Pop scheint, wenigstens bezüglich der Konzerte, ein Privileg der Reichen. Und Pop schließt in der Levante alternative Musikstile stärker aus als anderswo. Stars wie Najwa Karam, Nawal el-Zoughbi oder auch das neue, plakativ arabisierende Technotrio „The R.E.G Project“ tönen noch standardisierter, als dies die Popsternchen des Westens tun – allenfalls der in Hocharabisch singende Newcomer des Jahres, Yuri Mrakadi, weicht mit seiner rockigen Musik ein wenig vom nivellierten Standard ab. Die Welt der Popindustrie scheint trotz allem in Ordnung. Penetrant freundlich schwärmen ihre Manager von neuen Hitparadenstürmern und decken den interessierten Musikjournalisten mit CDs und Videos ein. Auf die Frage allerdings, ob es in Libanon eine alternative Musikkultur gebe, schweigen sie.

„Es stinkt hier. Zwar tut es das in der ganzen Welt, doch in einem Drittweltland trifft einen das besonders stark“, erklärt ein libanesischer Jazzmusiker: „Wir Libanesen waren Phönizier, waren Händler, und so hat unsere künstlerische Produktion a priori eine kommerzielle Ausrichtung. Für innovative Kunst gibt es keine Hilfe.“ Und Wadi, ein junger Musikfan, meint resigniert: „Libanons Offenheit ist bloß Schein. Fast alle TV-Sender sind von politischen oder religiösen Parteien finanziert.“ Abseits der Massenmedien jedenfalls überleben nur wenige als Musiker. Viele sind deswegen emigriert, haben im Ausland klassische Musik studiert oder sich im besten Fall – wie Marcel Khalife oder Rabih Abou-Khalil – im Westen einen Namen geschaffen. Im Libanon müsste er aus finanziellen Gründen Folklore und Popmusik machen, glaubt auch der in der Schweiz lebende Mahmoud Turkmani, ein virtuoser Interpret und Komponist zeitgenössischer E-Musik, dessen Alben bezeichnenderweise beim deutschen Jazzlabel Enja erscheinen.

Das Symbol für libanesische Musik schlechthin bleibt die Sängerin Fairuz, die dem Libanon seit den 50er-Jahren mit ihren Komponisten Mansour und Assy Rahbani eine musikalische Identität verpasst hat und spätestens seit dem Bürgerkrieg zum Symbol der nationalen Einheit aufgestiegen ist. Lange allerdings war das Trio in urbanen Kreisen belächelt worden, weil es in seinen Musiktheatern ländliches Leben in Szene setzte. „Künstler, Musiker und Hörer waren vollständig auf Ägypten ausgerichtet“, erzählt Mansour Rahbani bei einem Besuch in seinem Haus im Norden Beiruts: „Niemand nahm damals zur Kenntnis, dass ägyptische Musik und Dichtung nicht zum Libanon passen. Ägyptische Gedichte sind sanft wie Rosenwasser; sie sprechen von Blumen und Farben, die es bei uns nicht gibt. Unsere Musik sollte vom Libanon handeln, von Stechblumen, von der unberechenbaren Natur, vom Gegensatz zwischen Berg und Meer. In Ägypten und im eigenen Land wurden wir vorerst nicht ernst genommen; man schmunzelte und witzelte über uns ‚Spinner aus den Bergen‘. Doch heute verfügt Libanon über eine stärkere musikalische Identität als unser früheres Vorbild Ägypten“, meint der alte Maestro der libanesischen Musik.

Hoffnungen der Jugend

Identitäten allerdings wandeln sich. Die libanesische Jugend redet nicht gerne von der Vergangenheit; sie richtet sich gen Westen. In den Clubs der verschiedenen Stadtzentren – in der Rue Monot oder auch im berüchtigten Club B 018 – trinken die besser gestellten, meist christlichen Teens und Twens Tequilla und tanzen zu House und Techno, als gäbe es kein Gestern und kein Morgen. Die Frauen tragen Kurz und Eng, die Männer präsentieren sich schick und bluffen mit Handys. „Libanesen begeistern sich nicht nur für arabische Musik; sie folgen den globalen Charts und singen in Englisch“, erzählt Tarek Baz von der Rockband Backyard und blickt auf eine neue Musikszene: „Rock, Blues, Latin-Jazz, Jazz und Popmusik sind angesagt, und die Dance-Kultur in den populären Nachtclubs Beiruts ist up to date. Sogar Heavy-Metal-Gruppen gibt es, nur werden die in der Öffentlichkeit nicht gerne gesehen.“ Von der Kunst leben können auch diese Musiker indes nicht, nicht einmal die Hoffnungsträger: die Trip-Hop-Formation Soap Kills etwa, oder das Label „Experimental Arts Concept“ von Amine Beyhom, das seit Jahren Jazz und Freejazz produziert. „Da die lokalen Produzenten des kleinen libanesischen Marktes lieber in leicht vermarktbare Popmusik investieren, bleibt uns als Alternative allein, die Fühler nach Westen auszustrecken. Der Originalität und Entwicklung unserer Musik tut dies allerdings nicht gut“, gibt sich Baz kritisch.

Glaubt man den Musikern, bleiben Meinungs- und Redefreiheit und die Abschaffung der latenten Zensur eine Utopie – auch wenn die Regierung dies anders darstellt. „Wir erhalten kaum finanzielle Unterstützung und müssen aufpassen, nicht politische, sexuelle oder religiöse Tabus zu brechen“, erzählt ein Sänger: „Viele üben hingegen Selbstzensur; sie wissen um die Risiken, denen sie sich aussetzen, wenn sie heikle Themen aufgreifen.“ In Theater, Kino und Musik werde zensiert, bestätigt ein bekannter Kulturjournalist: „Future TV hat vor kurzem ohne jegliche Begründung eine Serie gestoppt. Eine von nur zwei libanesischen Filmproduktionen im Jahr 1999 wurde beschnitten, und der populäre Sänger Marcel Khalife musste vor Gericht, nur weil er in einem Lied Verse aus dem Koran zitiert hatte!“

Offizielle Institutionen, die nichtkommerzielle Kultur unterstützten, gebe es nicht, und Kulturpolitik sei ein Fremdwort, betonen die meisten Musiker. „Die ökonomische und politische Situation des Landes wirkt sich deprimierend auf die Kultur aus. Die wenigen Reichen finanzieren nur kulturelle Ereignisse, die entweder Profit abwerfen oder mit viel Prestige verbunden sind“, erklären Soap Kills und fügen an, dass sie sehr oft in Paris aufträten und hofften, dort den Durchbruch zu schaffen. „Das Interesse an jugendlicher Musik abseits des Mainstreams ist sehr gering“, stört sich die Sängerin Yasmine Hamdan: Es sei ermüdend, immer vor demselben kleinen Kreis zu spielen – nach wenigen Auftritten kenne man jeden einzelnen Zuschauer persönlich.

Distanz der Altmeister

Der 76-jährige Fairuz-Komponist Mansour Rahbani betrachtet die Probleme der Musikszene Libanons von einer anderen, weit entrückten Warte aus. Ruhig lässt er seinen Blick über die Berge, das nördliche Beirut und das Meer schweifen: „Die Erde kann schwanger sein wie eine Frau“, formuliert er poetisch, überlegt kurz und fügt an: „Erst wenn sie reif ist, wird sie wieder wahre Künstler gebären. Mohammed Abd el-Wahab, Umm Kulthum und Fairuz oder Pavarotti und Beethoven waren seltene Größen, und das ist gut so: Gäbe es einen zweiten Shakespeare, wir könnten den einen gar nicht richtig verehren.“ Die drängende junge Musikergilde bringen solche Worte natürlich auf die Palme. Verbissen kämpfen sie dafür, dass Beirut wieder ein ernst zu nehmendes musikalisches Gravitationszentrum wird. Die Zeichen dafür sehen allerdings alles andere als rosig aus.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen