: Boulevard der Dämmerung
Tony Blairs Regierung wird mittlerweile von vielen Wählern in England verachtet. Ihre Tage sind gezählt – zumal es sich der Premier nun mit den Medien verscherzt hat
Wegen der Zeitungen ist er britischer Premierminister geworden, und wegen der Zeitungen wird er diesen Job eines Tages auch wieder los. Tony Blairs Verhältnis zu den Medien ist neuerdings zerrüttet. Es waren die Massenblätter wie die Sun, die ihn vor fünf Jahren an die Macht gehievt haben. Inzwischen haben sich die konservativen Zeitungen auf ihn eingeschossen und haben mit Transportminister Stephen Byers bereits einen Skalp erbeutet. Nächstes Angriffsziel ist Blairs Pressesprecher Alastair Campbell, einer der mächtigsten Männer im Staat. Danach, das weiß Blair, wäre er selbst dran.
Die Nerven liegen blank. Nur so ist das ungeschickte Verhalten nach dem Tod der Königinmutter zu erklären. Queen Mum war noch nicht kalt, als Blair versuchte, sich eine größere Rolle bei der Beerdigung zu sichern, als vorgesehen war. Als zwei Zeitungen darüber berichteten, reichte Blair eine Beschwerde beim Presserat ein, musste sie jedoch zurückziehen, als Zeugen die Version der beiden Blätter bestätigten. Dennoch behauptet Blair nach wie vor, sie hätten Unrecht. Die Angst vor den Medien zeigt sich auch bei Blairs handschriftlicher Notiz, in der er von seinen Mitarbeitern Ideen für griffige Initiativen fordert, die Schlagzeilen machen würden.
Blair weiß, wie Zeitungen funktionieren. Das Umkrempeln der alten Partei zu New Labour war ja weniger eine politische Strategie als vielmehr ein Medienkonzept. Wenn man die Medien gegen sich hat, kann man keine Wahlen gewinnen. Blair hatte Neil Kinnocks Beispiel deutlich vor Augen: Der verlor als hoher Favorit Anfang der Neunzigerjahre dennoch die Wahl, weil er von der Presse demontiert worden war.
Der politische Kommentator Andrew Rawnsley meint sogar, dass New Labour genau wie eine Zeitung funktioniere. Blair sei der Besitzer, Campbell sein Chefredakteur. Was bei Zeitungen Exklusivgeschichten sind, heißt bei Blair politische Initiativen. Und wenn Zeitungen eine komplexe Geschichte in eine Überschrift pressen, so kondensiert Blair seine Politik in Schlagwörter. Die wichtigsten Vertrauten sind für Blair seine „Spin Doctors“, die Nachrichten einen regierungsfreundlichen Dreh geben.
Doch die Rechnung geht nicht auf. Blair kann nicht gegen eine feindselige konservative Presse gewinnen, indem er sich auf deren Spielfeld begibt. Wenn Blair dem Zeitungszaren und Sun-Herausgeber Rupert Murdoch oder anderen Medienmogulen seine Aufwartung macht, dann tut er das fast im Stile eines Kollegen. Doch die „Kollegen“ und ihre Journalisten, von denen viele ihren eigenen Einfluss gerne überschätzen, werden durch Blairs Verhalten in dem Glauben gestärkt, sie seien in Anbetracht des maroden Zustands der Torys die wahre Opposition. Und sie riechen Blairs Angstschweiß.
Blair gleiten die Fäden aus der Hand. Dabei ist er ein control freak. Es war vom ersten Tag in der Downing Street an klar, dass er alles unter seiner Kontrolle haben will. Das wirkt sich auf die Politik der britischen Regierung aus. Während die Labour Party früher ein Sammelbecken für Linke und Sozialdemokraten aller Schattierungen war und lebhaft debattierte, umgibt sich Blair nur noch mit Kopfnickern. Wer ihn auch nur milde kritisiert, hat keine Chance, in der Parteihierarchie aufzusteigen. Das hat die letzte Kabinettsumbildung gezeigt, als der 29-jährige David Lammy ins Gesundheitsministerium einzog, während der weitaus erfahrenere Howard Stoate draußen blieb, weil er früher die Socialist Medical Association geleitet hatte und manchmal eine Widerrede wagt.
Manchen ergeht es noch schlechter: Gwyneth Dunwoody, die Vorsitzende des Verkehrsausschusses, sieht sich plötzlich einer Verleumdungskampagne ausgesetzt, weil sie die Regierungspolitik kritisiert hat. Und Mitglieder einer Hilfsorganisation für die Überlebenden des Paddington-Eisenbahnunglücks mussten erfahren, dass Blairs Leute in ihrem Privatleben herumschnüffelten, um sie diskreditieren zu können, denn auch sie hatten die Verkehrspolitik der Regierung kritisiert. Das ist eigentlich die Taktik der Boulevardblätter. Tam Dalyell, Labour-Abgeordneter aus Linlithgow und Alterspräsident des Unterhauses, hält Blair für den schlechtesten Labour-Premierminister aller Zeiten, weil er die Macht in der Downing Street zentralisiert hat, kritische Hinterbänkler ignoriert und vor allem für die Galerie – nämlich die Medien – spielt.
Für wie wichtig Blair die Unterstützung der Zeitungen hält, zeigt die Sache mit der Express-Zeitungsgruppe. Der Verleger Richard Desmond, der die Zeitungen im vorigen Jahr übernahm, hatte bis dahin lediglich Zeitschriften mit Titeln wie Megamöpse und Sperma schluckende Schlampen herausgegeben. Dennoch verzichtete die Regierung darauf, die Übernahme an die Wettbewerbsaufsichtsbehörde zu verweisen. In anderen Fällen tat sie das sehr wohl: So durfte ein weiterer Pornokönig, David Sullivan, nicht die Bristol Evening Post aufkaufen, weil ihn die Behörde für ungeeignet hielt, eine Zeitung zu führen.
Aber Desmond ist eben nicht nur Pornopublizist, sondern auch loyaler Labour-Anhänger und Proeuropäer. Kurz vor der Entscheidung, die Aufsichtsbehörde nicht einzuschalten, hatte er der Partei 100.000 Pfund gespendet, die Labour später in Wahlkampfanzeigen im Express anlegte. Natürlich wusste Blair, dass ihm, dem christlichen Moralisten, die Verbindung mit Desmond Hohn und Kritik einbringen würde, aber es war ihm wichtiger, dass die Zeitungsgruppe nicht einem seiner Gegner in die Hände fiel. Blair schließt die Augen und denkt an den Euro.
Aber es geht ja dabei nicht nur um Pornografie, sondern auch um Korruption. Desmond hat zwar nicht 100.000 Pfund unter der Bedingung gespendet, dass man ihm die Wettbewerbsaufsicht vom Hals hält. Das hätte Blair zurückgewiesen, so direkt funktioniert Bestechung nicht. Aber wie auch in anderen Fällen funktioniert sie eben doch: So setzte etwa ein Labour-Spender durch, dass die Formel eins vom allgemeinen Tabakwerbungsverbot ausgenommen wird.
Das Verhältnis zwischen New Labour und Desmond geht noch tiefer. Nach den Wahlen im vorigen Jahr wechselte die Generalsekretärin der Labour Party, Margaret McDonagh, in Desmonds Firma. Rosie Boycott, Chefredakteurin des Express bis zu Desmonds Übernahme, war darüber so empört, dass sie aus der Labour Party austrat und zu den Liberalen Demokraten ging. So ist das eben bei New Labour: Eine Frau, die sich an der Spitze der Partei immer für Frauenrechte eingesetzt hat, arbeitet nun für einen Pornografen, um nebenbei darauf zu achten, dass er nicht vom rechten Labour-Weg abkommt.
Inzwischen führen Regierungspolitiker, gemeinsam mit Journalisten und Immobilienmaklern, in der Tabelle der Berufsgruppen, die am wenigsten vom Volk respektiert werden. Aber Zeitungen und Häuser werden weiterhin gekauft. Die Tage einer Regierung, die von den Wählern verachtet wird, sind hingegen gezählt. RALF SOTSCHECK
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