: Der Wurm als politische Botschaft
Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan um die Kaschmir-Region wird auch im Internet ausgetragen. Hacker sorgen mit Hilfe von Viren dafür, dass politische Parolen beider Länder weltweit in Mailinglisten und politischen Newsgroups verbreitet werden
von ROLAND HOFWILER
Nicht zu beweisen, aber zu vermuten: Pakistans und Indiens Geheimdienste ermuntern ihre Computerfreaks, neuartige Internetviren zu basteln, über deren Verbreitung sie ihre jeweilige Sicht zum Kaschmirkonflikt in die politischen Newsgroups und privaten Mailinglisten von Dritte-Welt-Aktivisten einstreuen können. Einen Vorgeschmack, was auf politisch interessierte Internetsurfer an unliebsamen Überraschungen künftig zukommen könnte, gibt derzeit der Cyber-Wurm mit dem Namen „W32.Yaha.E@mm“. Auf jedem Bildschirm eines Windows-Rechners, der mit diesem Virus infiziert wird, erscheint immer und immer wieder die Parole, den Kampf gegen Pakistan und für ein unabhängiges Kaschmir aufzunehmen.
Zeitgleich kriecht der Wurm auf dem befallenen Computer so tief ins System, dass er bei jedem Neustart eines gängigen Mailingprogramms immer wieder neu aktiviert und der Freiheitsappell in die weite Welt hinausgemailt wird. Die Empfänger ahnen nichts Schlimmes, wenn sie die Nachricht mit dem Vermerk „dailyreport“ oder „weeklyreport“ sehen, verbunden mit der Adresse eines Bekannten. Sie machen die eingegangene Mail auf und staunen, was passiert. Immerhin: Bleibende Schäden richtet der Wurm nicht an.
Begonnen hatte der Spuk des „W32.Yaha.E@mm“ am 16. Juni, als es unbekannten Hackern aus Indien geglückt war, den Computervirus auf der offiziellen Homepage der pakistanischen Regierung unter www.pak.gov.pk heimlich zum Laufen zu bringen. Der Wurm aktivierte die Mailingliste der Webseite und jeder, der sich dort mit seiner E-Mail-Adresse ins Gästebuch eingetragen hat, bekam die Gegenpropaganda aus Indien zugeschickt. Obwohl die pakistanische Regierung sofort reagierte und ihre Seiten in kürzester Zeit von dem unliebsamen Gast komplett gesäubert hatte, geistert „W32.Yaha.E@mm“ seitdem munter durchs Netz.
In der Hackerszene wird derweil mit Spannung erwartet, was als nächstes im so genannten Cyberkrieg zwischen Indien und Pakistan geschehen wird. Seit Jahren befehden sich die beiden Staaten wegen der Kaschmirfrage im Internet. Auf pakistanischer Seite macht vor allem „Doctor Nuker“ alias „GForce“ von sich reden, eine vermeintliche Hackergruppe, die immer wieder Webseiten mit proindischen Inhalten verunstaltet, sich des Anliegens der Palästinenser annimmt und ständig versucht, die Zentralrechner von FBI, CIA und israelischem Mossad lahm zu legen. Nur wenige Tage nach dem 11. September hatte es „Doctor Nuker“ geschafft, die Startseite der US-Webseite von World Trade Services mit einem kritischen Banner zu überziehen. Darin hieß es: „Warum soll dahinter Bin Laden stecken? Wer hat denn aus dem Ereignis den größten Vorteil gezogen? Etwa Bin Laden? Nein!! Nur die USA und die CIA!“
Die „W32.Yaha.E@mm“-Technologie stellt die traditionellen Hackerangriffe der Pakistaner mit einem Schlag in den Schatten. Und so fragt man sich, wer könnte für die Entwicklung der „Software“ in Frage kommen, denn bislang zogen indische Hacker immer den Kürzeren gegenüber „Doctor Nuker“. Half die CIA nach, wie auf einschlägigen Seiten gemutmaßt wird? Ein offenes Geheimnis ist längst: US-Militärstrategen bemühen sich seit einiger Zeit fieberhaft darum, den gesamten E-Mail-Verkehr weltweit zu überwachen. Im März sickerte erstmals durch, das FBI arbeite diesbezüglich an einer Schnüffelsoftware unter dem Namen Magic Lantern. Diese magische Laterne, ein so genannter Trojaner, trägt dafür Sorge, dass beim Austausch der Post zwischen Absender und Empfänger auch eine Kopie der Mails auf mysteriösen Wegen auf einen FBI-Rechner wandert.
Auf niedrigem Niveau macht der „W32.Yaha.E@mm“-Wurm das Gleiche: Einmal auf einem Rechner installiert, hat sein Besitzer keinen Einfluss mehr darauf, wer fortan mitbedient wird beim Versenden und Empfangen von E-Mail-Nachrichten.
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