Jonglieren mit Zola

Das heutige Match bei der Junioren-EM gegen England ist ein besonderes für Moritz Volz und Sebastian Kneißl

NADDERUD taz ■ Sebastian Kneißl bezeichnet das, was heute Abend um 18 Uhr in der kleinen norwegischen Stadt Nadderud ablaufen wird, fett als „Knüller“. Was Moritz Volz so nie sagen würde, aber auch er gibt zu: „Das ist schon etwas Besonderes.“ Deutschland gegen England, Fußball-Europameisterschaft der U 19-Junioren in Norwegen und für Kneißl und Volz die perfekte Bühne, um sich zu präsentieren. Denn beide wollen nur eins: Stammspieler werden. Stammspieler in der englischen Premier League – und natürlich Europameister.

Wenn Sebastian Kneißl die Augen schließt, dann kommt ihm die Erinnerung an seinen ersten Trainingstag bei Chelsea London vor wie ein Traum. Er sieht einen Jungen aus dem Odenwald, der gefrustet der Eintracht und Frankfurt den Rücken kehrt, nur auf sein Gefühl vertrauend das Elternhaus verlässt. Er ist 16. Große, glänzende Augen bei den kleinen Dingen: Ball jonglieren mit Gianfranco Zola, passen mit Didier Deschamps, kurz: kicken mit den ganz Großen dieser Fußballwelt.

„Natürlich wird er diesen ersten Tag nie vergessen“, sagt er, als er seine Augen wieder öffnet. Doch die Geschichte des Sebastian Kneißl beginnt erst, die Einleitung ist gerade mal geschrieben, und er weiß, es muss weitergehen. „Ich will dorthin, wo die Stars sind, ins Profiteam!“ Und so ist das Staunen einer einfachen Erkenntnis gewichen: „Wer nur staunt, der spielt nicht.“ Bei Moritz Volz, seit drei Jahren Azubi bei Arsenal London, hört sich das so an: „Am Anfang ist der Respekt groß. Aber man hat schließlich Ziele“, sagt der athletische Abwehrspieler. Nach England, ins Mutterland des Fußballs, ist er gewechselt, weil ihn der Mythos des englischen Fußballs gelockt hat. Die Aussicht „in der tollen Atmosphäre dieser Stadien zu spielen“, trieb ihn aus Schalke weg, wo er sich nicht richtig gefördert fühlte. Bei Arsène Wenger, Arsenals Trainer, hat er einen Stein im Brett. „Er ist besser als Lee Dixon in dem Alter“, verglich der Elsässer vor einem Jahr Volz mit der Arsenal-Legende. Und hätte er sich nicht zuerst den Kiefer und dann das Wadenbein gebrochen, Wenger hätte ihn wohl schon öfter in den Profikader berufen, wie am Ende der letzten Saison zweimal geschehen.

Einer wie er, der genau weiß, was er zu tun und was er zu lassen hat, ist natürlich auch nach dem Geschmack von Uli Stielike, und so singt der deutsche U 19-Trainer das Loblied auf seinen Kapitän in den höchsten Tönen. „Er wird sich überall durchsetzen, denn er weiß genau, was er will.“ Überhaupt sieht Stielike die Entwicklung von Kneißl und Volz, die in den Reserveteams ihrer Klubs Spielpraxis sammeln, positiv. „Die beiden sind selbstständiger und selbstbewusster geworden.“

Ein Selbstbewusstsein, das sich Kneißl auch in Zeiten sportlicher Flaute bewahrt. Das letzte Jahr lief lausig für ihn. „Erst war das Spielerische weg und dann das Tor vernagelt.“ Doppelt ärgerlich für den Mittelstürmer ohne Tore, wenn dann auch noch die Konkurrenz auf die Überholspur abbiegt. Carlton Cole, Sturmtalent der englischen U 19, Kneißls Teamkollege und Kumpel bei Chelsea, hat ihm den Rang abgelaufen. Coles gefeiertes Premier-League-Debüt Ende der letzten Saison verfolgte Kneißl frierend auf der Tribüne.

„Ich habe mit Carlton telefoniert. Wir sind beide heiß!“, sagt Kneißl zum internen Kampf um das Vertrauen des Vereinstrainers Claudio Ranieri vor dem heutigen Aufeinandertreffen. Stielike wird es recht sein, ist Kneißl doch ebenso ein Fixpunkt in seinen Planungen für diese EM wie Volz. Heute Abend will Kneißl das entscheidende Tor schießen. Der Applaus vor kleiner Kulisse in Nadderud würde bescheiden ausfallen. Doch wenn er einen Moment die Augen schließt, ist der Jubel gigantisch, prasselnd, englisch eben, so wie ihn sein Kumpel Carlton Cole schon an der Stamford Bridge, dem Stadion von Chelsea, erlebt hat. TOBIAS SCHÄCHTER