: „Ein Bauverbot hätte gut getan“
Zum XXI. Architektur-Weltkongress in Berlin: Der Düsseldorfer Architekt Christoph Ingenhoven über die Debatte um den Schlossplatz in Berlin und die Angst vor der Leere, den Trend zum Traditionalismus und die Architekturszene in Deutschland
Interview ULLA HANSELMANN
taz: Herr Ingenhoven, statt der Rekonstruktion des historischen Stadtschlosses in der Mitte Berlins schwebte Ihnen an dieser Stelle ein öffentlicher Park vor. Der Bundestag hat nun anders entschieden: Berlin scheint die architektonische Zukunft, um deren Leitbilder von heute an beim UIA-Weltkongress gerungen wird, in der Vergangenheit zu suchen. Wie groß ist Ihre Enttäuschung?
Christoph Ingenhoven: Sie ist schon erheblich. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass aus dieser Entscheidung Wirklichkeit wird. Außerdem: Sollte Edmund Stoiber Bundeskanzler werden, kann ich mir nicht vorstellen, dass ein bayrischer Ministerpräsident das preußische Schloss wiederaufbaut. Und ein ehemaliger niedersächsischer Ministerpräsident sollte es auch nicht tun.
Sie haben die Parkidee ins Spiel gebracht, um die Leere, die sich in Berlins Mitte auftut, erträglicher zu machen.
Diese Angst vor der Leere ist doch symptomatisch: Wir sind etabliert und spießig geworden und ertragen es nicht, dass in unserem Schlafzimmer die Matratze auf dem Fußboden liegt.
Berlin ist so besenrein geworden. Haus um Haus, Baulücke um Baulücke, Block um Block, wird die Stadt poliert und zu Ende gebaut.
Was wäre Ihnen lieber?
Man hätte die Geschwindigkeit aus dem Bauboom nehmen müssen und die Diskussionen, etwa um den Potsdamer Platz oder eben das Schloss, länger führen müssen – ganz egal, welche Konzepte man verfolgt.
Ich hätte deshalb strategische Kreise in die Stadt gemalt und gesagt: Das sind so schwierige und philosophisch umstrittene Themen, dass man sie die nächsten zwanzig Jahre bereden muss. Bauverbot, Punktum. Keiner wäre gestorben!
Nun hat Berlin sich seine architektonische Zukunft erst einmal verbaut. Warum haben Sie und andere, jüngere Kollegen nicht mehr für Ihre Positionen gekämpft?
Ich selbst habe das versucht, soweit es ging. Aber es gibt nicht die Veranstaltung, wo man das mit entsprechender Wirkung auch tun könnte: Da müsste Architektur schon ein Thema bei „Sabine Christiansen“ sein. Das aber gab’s leider noch nie!
Also warten, bis man gefragt wird? Das kann auch in Zukunft noch lange dauern, oder?
Ich glaube, dass es in Deutschland eine lebendige, gut ausgebildete und erprobte Architektenszene gibt. Wir wissen, wo die Probleme in der Architektur liegen, wollen sie lösen, wir sind ehrlich und sorgfältig. Aber an Charismatikern, die prononciert ihre Meinung kundtun und für ihre Überzeugungen öffentlich einstehen, mangelt es.
Viele Kollegen lamentieren, dass sie international nicht wahr- und auch nicht ernst genommen würden. Das wird so sein, solange wir uns selbst nicht ernst nehmen – und zum Beispiel lieber hundert deutsche Studenten zur Architekturbiennale nach Venedig schicken, anstatt einmal drei Architekten auf den Schild zu heben und sie dort zu präsentieren.
Fehlt der Mut zum Starkult?
Ja. Man muss doch auch einmal ein bisschen frech und selbstbewusst sein, auf den Putz hauen und sagen: Freunde, lasst uns jetzt mal ran!
Der UIA-Weltkongress tritt mit dem Anspruch an, eine „Reorientierung“ der Architektur einzuläuten. Wohin sollte Ihrer Meinung nach die Reise gehen?
Im Moment haben wir, international gesehen, aber auch in Deutschland, eine eher oberflächliche Architekturdebatte. Man gibt zwar dicke Bücher raus, aber außer vielen bunten Bildern steht nicht viel drin. Blobmaster, biomorphe Formen, Landscaping und wie die Schlagworte alle heißen. Formen, die durch die Computertechnologie möglich sind. Wenn man sie dann baut, zeigt sich, dass sie doch oft nicht wirklich möglich sind. Der Architektur kann hierzulande nur wieder zu einem Stellenwert verholfen werden, wenn sie sich sowohl als charismatisch als auch ernsthaft erweist, und das Experiment nicht verschmäht.
Was meinen Sie damit?
Ich meine eine Architektur, die begeistern, zu Tränen rühren kann, die aber auch von der Konstruktion her perfekt und auf der Höhe der Zeit ist.
Solche Architektur sucht man in der jüngeren deutschen Baugeschichte leider vergeblich. Woran mangelt es?
Über die ganzen ökologischen, Ressourcen schonenden und funktionalen Aspekte des Bauens wird viel diskutiert, sie sind ja auch wesentlicher Teil des Kongresses. Doch von hier aus betrachtet, darf das nicht alles sein.
Wir neigen viel zu sehr dazu, die so genannten Sekundärtugenden zu pflegen, Ordnung, Fleiß, Sorgfalt. Die taugen aber bekanntermaßen nur etwas in Verbindung mit den Primärtugenden. Die internationale Architekturszene hingegen tendiert zum großen Auftritt, inszeniert des Kaisers neue Kleider. Das ist genauso schade. Architektur ist keine darstellende, sondern eine soziale Kunst.
Statt neue Wege einzuschlagen, besinnen sich viele Ihrer Kollegen auf Altbewährtes, und bauen beispielsweise Villen im Stil des 19. Jahrhunderts. Was halten Sie von diesem Trend zum Traditionalismus?
Das ist eine absolute Entgleisung, nicht nur der Architekten, sondern auch der Bauherrn. Die Reichen und Gebildeten hatten es zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts und nach dem Krieg als ihre vornehme Pflicht empfunden, sich mit der Avantgarde in Literatur, Malerei und Architektur auseinander zu setzen. Sich das Alte wiederzubeschaffen, das hätte es nicht gegeben!
Ich halte das für ein billiges Ausweichen in historische Standards, die heute nicht mehr in der einstigen Qualität herstellbar sind. Ich möchte mich doch auch nicht von einem Chirurgen mit den Kenntnissen des 19. Jahrhunderts operieren lassen! Und die sozialen Standards von damals möchte ich auch nicht wieder.
Sollten die Architekten sich nicht mehr nach der öffentlichen Meinung richten? Dem Durchschnittsbürger gefällt das Alte allemal besser als das Neue. Kritiker haben diesen Neotraditionalismus als definitives Misstrauensvotum gegen die Moderne gewertet.
Wenn Sie damit das allgemeine Unbehagen an den modernen Zeiten meinen, stimmt das. Was steckt denn dahinter? Die Furcht des Mittelstands, in schwierigen Zeiten den Anschluss zu verpassen.
Ich werte diese stilistischen Wiederbelebungsversuche als totale Verunsicherung. Das ist eine angstbesetzte Architektur für mich.
Die Frage aber ist, ob Angst zu guten Ergebnissen führt. Da sollte man lieber nicht bauen. Siehe Schloss …
Wenn Sie drei Wünsche für die Architektur in der Zukunft frei hätten, welche wären das?
Ich wünsche mir erstens, dass Architektur eine Herzensangelegenheit aller wird, weil sie eine uns jederzeit umgebende Kunst ist. Deshalb bin ich dafür, Architektur als Schulfach einzuführen. Zweitens: mehr Fairness und Ehrlichkeit in den Wettbewerbsverfahren und weniger Neid und Missgunst. Es muss einen Wettstreit der Guten und Edlen geben, weil nur dadurch das Beste entsteht.
Und drittens?
Drittens wünsche ich mir von der Generation der Sechzig- und Siebzigjährigen, dass sie uns Jungen jetzt mal ranlässt. Die Republik ist ja halb vergreist, nicht nur altersmäßig, sondern auch im Kopf.
Man wird unbeweglicher und will die Dinge lassen, wie sie sind, und hat noch die Macht, das durchzusetzen. Das ist ein großes Dilemma, das sich schwer und bleiern über dieses Land legt.
Deshalb sage ich: Ihr seid jetzt weise Greise, aus dem Stadium des Jugendlichen und Kriegers raus, und müsst uns jetzt in den Krieg schicken. In eurer Jugend habt ihr das Märkische Viertel, die Hälfte der Autobahnen, die Atomkraftwerke gebaut. Es ist einfach gut jetzt. Ich akzeptiere das – wer handelt, macht Fehler. Aber jetzt lasst uns unsere eigenen Fehler machen.
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