Erfolg, der zum Verhängnis wird

aus Löpten HEIKE HAARHOFF
und BERND HARTUNG (Fotos)

In der Magdeburger Börde wuchs er auf. Das waren Äcker! 80 Bodenpunkte. Die höchsten Hektarerträge der DDR. Bei schönen 1.000, 1.200 Millimetern Niederschlag. Nicht so wie diese Streusandbüchse, die bis zur Bodenreform das Jagdrevier des Berliner Großbürgertums war. Mit ihrem mickrigen 21er-Boden und den regelmäßigen Trockenphasen im Frühsommer, während deren er dem Mais beim Austrocknen zugucken kann. Und doch hat er es geschafft. Ohne Chemiedünger, ohne Pestizide, ohne Hormone. Aber mit 18 Menschen, die bei ihm arbeiten und wissen, was eine Fruchtfolge ist. Oder dass man einer Milchkuh, die produktiv bleiben soll, nach der Geburt ein paar melkfreie Tage mit ihrem Kalb zugesteht. Seine Agrargenossenschaft im brandenburgischen Ort Löpten, 60 Kilometer südlich von Berlin, werden bald Berufsschulklassen aufsuchen. Sie wollen wissen, wie ein Mann eine tote LPG nach der Wende zu einem zertifizierten Ökovorzeigehof gemacht hat. Der Mann heißt Georg Kurth. Er sagt: „Ich werde den Betrieb wohl stilllegen müssen.“

Verzweifelt sieht er dabei nicht aus. Eher ernsthaft. Das Leben hat den 49-Jährigen schon mal herausgefordert, und wenn jetzt die EU ihre Agrarpolitik reformiert und er dabei verliert, gilt es erst recht, einen klaren Kopf zu behalten. Er sitzt in seinem Büro in Löpten, vor ihm Telefone, Aktenordner, Klarsichthüllen und Mappen voll Papier. Georg Kurth ist Diplomagraringenieur, ausgebildet in den 70ern an der Humboldt-Universität in Berlin, Hauptstadt der DDR.

„Mit Landwirtschaft hat das, was ich mache, kaum noch etwas zu tun“, sagt er. Er muss sich mit den Papieren auseinander setzen, die er nicht verfasst hat, die aber über seine Existenz entscheiden. Die Blätter mit den Zahlen sind die wichtigsten. Darauf zu lesen ist, dass die Agrargenossenschaft Löpten-Briesen e. G. im vergangenen Jahr knapp 500.000 Euro staatliche Fördermittel erhalten hat, in Form von Stilllegungs- und Schlachtungsprämien, Preisausgleichszahlungen für Getreide, Eiweißpflanzen und benachteiligte Gebiete, Extensivierungs- und Kulturlandschaftsprogrammen sowie für Naturschutzmaßnahmen, zu denen sich Georg Kurths Betrieb vertraglich verpflichtet hat. Alle Programme, von denen er bisher profitierte, fallen in der Behördensprache unter den Begriff „Direktzahlungen aus Brüssel“, und die sollen künftig auf höchstens 300.000 Euro pro Jahr und Hof beschränkt werden.

Keine Chance ohne EU-Geld

In Deutschland trifft das vor allem große Betriebe im Osten. Die konnten nach der bislang geltenden Praxis, die Beihilfen an die Produktionsmenge beziehungsweise die bewirtschafteten Flächen koppelt, mit weitaus höheren Subventionen rechnen. Agrarfabriken, die Massentierhaltung betreiben, Kartoffelkäfer mit der Giftspritze vernichten und ihre Maisernte verbrennen, weil sie den Mais nicht brauchen, aber die Maisfördermittel. Aber eben auch solche Höfe, die der rot-grünen Bundesregierung und ihrer ökologischen Agrarwende bisher als musterhaft galten. Höfe wie die Agrargenossenschaft Löpten-Briesen, die mit 18 Beschäftigten, 1.400 Hektar Ackerland, 170 Milchkühen, 30 Sauen, einer Schweinemast und angeschlossener Schlachterei, einer Mutterkuhfirma sowie 120 Heidschnucken so groß ist, dass sie das Futter fürs Vieh fast komplett selbst erzeugen und so das Risiko der Giftpanscherei weitgehend ausschließen kann. Eine Besonderheit, von der man annehmen sollte, dass sie in Zeiten von BSE, Nitrofen und Hormonen eigentlich keiner Förderbeschränkung unterliegen dürfte.

„Ich bin auf das Geld angewiesen“, sagt Georg Kurth. Subventionen aller Art wie Flächenbeihilfen, garantierte Abnahmepreise, Stilllegungsprämien bestimmen das Geschäft. „Selbst wenn ich wollte, könnte ich als Bauer in Europa niemals ein freier Unternehmer sein.“ Unmöglich für Georg Kurth, 200.000 Euro, zwei Fünftel seines jährlichen Subventionsetats, plötzlich selber zu erwirtschaften. Nach den Planungen der Kommission bekäme er eigentlich für seine 18 Arbeitskräfte zu den 300.000 Euro noch 58.000 dazu (siehe Kasten). Aber erstens glaubt er daran nicht, und zweitens fehlten ihm dann immer noch 142.000 Euro.

Sicher, er könnte sparen, etwa die Hälfte seiner Belegschaft entlassen. Schon einmal hat er einen Betrieb abgewickelt, sich in die Gesetze für Kurzarbeit, Vorruhestand, ABM, Umschulung eingearbeitet. Das war kurz nach der Wende. Die LPG Pflanzen- und Tierproduktion Löpten, deren Betriebsleiter Georg Kurth war, hatte 200 Beschäftigte, 3.800 Hektar Land und keine Perspektive. „Da haben wir dann die Umstrukturierung gemacht.“ Ein Zehntel seiner alten Kollegen konnte Georg Kurth in die wiedervereinigte deutsche Landwirtschaft retten. Zunächst dank eines Programms, das die EU auflegte, um die Nutzung großer Flächen mit wenig Aufwand zu fördern. Für die kargen Brandenburger Böden das Richtige, wusste Kurth. „Aber wenn schon, dann wollten wir es ordentlich machen.“

Ordentlich hieß öko. Nicht aus ideologischer Überzeugung. Georg Kurth, Jahrgang 1953, gehört nicht der Generation von Biobauern an, die ihr Korn nur bei abnehmendem Mond einfahren oder ihren Kühen die Hörner am Kopf lassen, damit diese die Astralenergie empfangen können. Für den Mann mit dem schlichten Karohemd gibt es zwei Grundsätze. Der eine ist, dass gesunde Lebensmittel ein Grundrecht sein sollten. Weswegen er fordert, Ökoprodukte endlich zu bezahlbaren Preisen anzubieten. „Nicht wir Ökobauern treiben die Preise in die Höhe, sondern die Läden.“ Der zweite Grundsatz ist, dass das Geschäft stimmen muss. Und Ökoprodukte sind in Zeiten von Lebensmittelskandalen und kritischen Verbrauchern nun mal zukunftsträchtig. Was Georg Kurth nicht hindert, seine Heidschnucken gegen Bezahlung die Wiesen des insolventen Flugzeugbauers CargoLifter abgrasen zu lassen, im Nebenerwerb im Auftrag einer Agentur Parteiplakate zur Bundestagswahl zu kleben und nach Feierabend als Wohnungsverwalter in Berlin aufzutreten. Man muss sich nach allen Seiten absichern. Denn noch einmal wird Kurth einen „Klimmzug“ zur Rettung seines Unternehmens, wie er sagt, nicht anstellen. Dann eher dichtmachen, wenn es hart auf hart kommt. „Ökolandwirtschaft ist nun mal personalintensiv. Daran ist nicht zu rütteln.“

Hackeln statt Giftspritze

Wenn seine Kühe an die hochmoderne Drehmelkanlage angeschlossen sind, dann hat das mit Handarbeit zwar nichts mehr zu tun. Aber zwei Kollegen müssen stets überwachen, dass das Euter sauber ist und die Schläuche ordentlich sitzen. Noch größer ist der personelle Aufwand beim Getreideanbau. „Der konventionelle Bauer fährt einmal pro Saison mit der Giftspritze übers Feld. Ich muss in der gleichen Zeit dreimal zum Hackeln rausfahren und habe trotzdem 25 Prozent weniger Ertrag.“ Damit nicht genug: Die Gasölverbilligung, mit der der Dieselverbrauch der Landwirte bislang subventioniert wurde, wurde in diesem Jahr beinahe ersatzlos gestrichen, und zwar gleichermaßen für konventionell wie für ökologisch wirtschaftende Betriebe. Georg Kurth findet das ungerecht. Die Felder seiner Agrargenossenschaft liegen verteilt über acht Gemeinden. Die Nord-Süd-Ausdehnung beträgt 20, die West-Ost-Ausdehnung 5 Kilometer. „Ich muss dreimal so oft aufs Feld, weil ich auf Chemie verzichte. Dass mein Kraftstoffverbrauch damit aber dreimal so hoch ist, davon will die grüne Verbraucherschutzministerin nichts wissen.“

Überhaupt ist er auf Renate Künast gar nicht gut zu sprechen. Ihren Beteuerungen, Ökohöfe müssten die Brüsseler Subventionskürzungen weniger fürchten, weil im Gegenzug ihre Bemühungen um Landschaftsschutz, Nachhaltigkeit und Schaffung von Arbeitsplätzen durch höhere Förderung als bislang honoriert würden, glaubt er nicht. Er schimpft: „Das Mädel widerspricht sich doch ständig selbst.“ Da wolle sie den Anteil des Ökolandbaus in den kommenden zehn Jahren von derzeit drei auf zwanzig Prozent steigern. „Trotzdem müssen auch wir Ökobauern jährlich mindestens zehn Prozent unserer Flächen stilllegen.“

Auch im Nitrofenskandal fühlte sich Georg Kurth von der Ministerin im Stich gelassen: Zehn Tage sei sein Hof gesperrt gewesen – wegen eines Verdachts, der sich später als unbegründet herausgestellt habe. „Mit der Rufschädigung habe ich jetzt zu leben.“ Und auf seine Anfrage, mit wie viel Geld er denn künftig rechnen könne, habe das Ministerium immer noch keine Antwort gegeben. „Ich brauche aber Planungssicherheit“, sagt er. „Ich bin keine Schraubenbude, der man heute sagt, die Zehnergewinde brauchen wir nicht mehr, ab morgen machst du Zwölfer.“