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Die Reform darf nichts kosten

Die Aufgabe ist objektiv nicht lösbar: Der neue Minister muss die teuren Nato-Vorgaben erfüllen – und hat keine Aussicht auf einen höheren Wehretat

aus Berlin BETTINA GAUS

Es ist klug, dass der neue Verteidigungsminister Peter Struck jetzt erst einmal nach Afghanistan reisen möchte. Mit Fernsehbildern aus Kabul lässt sich leichter der erwünschte Eindruck von Feuereifer und Tatkraft erwecken als mit Aufnahmen, die den Rekruten am Schreibtisch zeigen. Um mühseliges Aktenstudium wird der Neuling dennoch nicht herumkommen, und viel Zeit bleibt ihm dafür nicht. Denn er befindet sich in einer misslichen Lage. Einerseits kann Struck in dem kurzen Zeitraum bis zu den Wahlen keine politischen Grundsatzentscheidungen mehr treffen – andererseits steht noch eine wichtige Ausschusssitzung des Bundestages ins Haus.

Auf der Zusammenkunft zehn Tage vor der Wahl geht es immerhin um so bedeutende Fragen wie die Weichenstellung für den geplanten neuen Schützenpanzer und Details der Finanzierung des Transportflugzeugs A 400 M. Die Opposition dürfte diesem Termin freudig entgegensehen. Schließlich bietet die Sitzung eine willkommene Chance, den unerfahrenen Minister so richtig vorzuführen. Eine Lösung, die alle Seiten zufrieden stellt, gibt es nämlich nicht. Auch wenn Struck am Wochenende das Gegenteil behauptete: Dafür fehlt das Geld. Wie für so vieles, was die Bundeswehr sich wünscht: die optimale Bewaffnung für den Eurofighter, neue Hubschrauber, die Verbesserung der Kommunikationstechnik. Um nur einige Beispiele zu nennen.

Objektiv unlösbar scheint die Aufgabe zu sein, vor der in den nächsten Jahren jeder neue Verteidigungsminister, unabhängig von seiner Parteizugehörigkeit, stehen wird. Es gilt, den Umbau der Bundeswehr so voranzutreiben, dass die teuren Planungsvorgaben von Nato und EU erfüllt werden. Gleichzeitig darf diese Reform jedoch nicht so viel kosten, dass sie das Ziel der Haushaltskonsolidierung gefährdet, und zwar gleich aus zwei Gründen. Zum einen ist eine Erhöhung des Wehretats im tiefsten Frieden der Bevölkerung kaum vermittelbar. Zum anderen hat Brüssel deutlich gemacht, dass sich ein „blauer Brief“ nur bei genauer Beachtung strikter Ausgabendisziplin vermeiden lassen wird. Das lässt wenig Spielraum für Neuanschaffungen.

Investitionen sind aber nötig, wenn die Bundeswehr die Ziele erreichen soll, die im internationalen Rahmen abgesteckt worden sind. Als Faustregel kann gelten, dass mindestens 30 Prozent des jährlichen Etats für Beschaffung, Forschung und Entwicklung ausgegeben werden müssen, wenn die Deutschen den Anschluss an ihre europäischen Verbündeten nicht verlieren wollen. Bis zum Jahr 2006 sollen jährlich 24,4 Milliarden Euro für den Wehretat zur Verfügung stehen. Angesichts der hohen Personalkosten erlaubt diese Summe jedoch nur einen Investitionsanteil im Verteidigungshaushalt von weniger als 25 Prozent.

Überforderte Streitkräfte

Die Bundeswehr will mittelfristig erreichen, entweder an einer großen Militäroperation mit bis zu 50.000 Soldaten für die Dauer eines Jahres oder gleichzeitig an zwei mittleren Operationen mit bis zu 10.000 Soldaten für mehrere Jahre teilnehmen zu können. Gegenwärtig sind vom Balkan über das Horn von Afrika bis zum Hindukusch gerade mal 10.000 deutsche Soldaten im Einsatz, und bereits dies überfordert nach übereinstimmender Ansicht aller führenden Offiziere die Möglichkeiten der Streitkräfte. Schließlich muss die Zahl der eingesetzten Militärs vervierfacht werden, wenn Vorbereitungszeit und vorgeschriebene Pausen zwischen Auslandseinsätzen eingerechnet werden.

Vor allem aber fehlt es der Armee am notwendigen Gerät für weltweite Einsätze. Nach wie vor sind die Streitkräfte auf eine Form der militärischen Auseinandersetzung ausgerichtet, die derzeit als wenig realistisch erscheint: die Panzerschlacht. Selbst die „neue“ Bundeswehr wird über fünf mechanisierte Panzerdivisionen verfügen. Zugleich aber ist sie angesichts einer veralteten, reparaturbedürftigen Transall-Flotte für den Transport von Soldaten und Gerät in entlegene Teile der Erde derzeit auf die freundliche Unterstützung der Verbündeten angewiesen. Der Posten des deutschen Verteidigungsministers ist unter solchen Umständen nicht besonders begehrenswert.

Dem Vernehmen nach hat sich der Bundeskanzler in der Vergangenheit mehrfach kühle Absagen eingehandelt, wenn er vorsichtig sondierte, wer als möglicher Nachfolger für Rudolf Scharping in Frage käme. Das ist nicht erstaunlich. Es ist auch kein Zufall, dass bei der Berufung von Peter Struck kaum ein Porträt ohne den Begriff des „Parteisoldaten“ auskam – der neue Verteidigungsminister mithin als Mann beschrieben wurde, der die Interessen seiner Partei über die eigenen zu stellen bereit ist. Und es ist kein Wunder, dass die Militärpolitik im Wahlkampf so gut wie keine Rolle spielt, obwohl sie dem rot-grünen Bündnis die schwersten Belastungsproben der Legislaturperiode auferlegte und darüber hinaus sowohl in der Bevölkerung als auch unter Fachleuten heftig umstritten ist.

Weltweite Intervention

Alle Parteien, abgesehen von der PDS, wollen nämlich dasselbe: die Bundeswehr von Streitkräften, die einen traditionellen, territorialen Angriff abwehren können, in eine Armee umbauen, die zur weltweiten Intervention befähigt ist. Unfreundlicher ausgedrückt: zum Angriff. Das Grundgesetz erlaubt diese veränderte Aufgabenstellung eigentlich nicht. Unmissverständlich wird in der Verfassung die Verteidigung als einzig legitimer Auftrag der deutschen Armee festgeschrieben. Dieses Problem ist allerdings unter pragmatischen Gesichtspunkten vernachlässigbar, solange über 90 Prozent der Parlamentarier in diesem Ziel übereinstimmen und das Verfassungsgericht sich nicht für zuständig hält.

Die Eltern des Grundgesetzes haben eine Bedrohungslage nicht vorhersehen können, in deren Mittelpunkt nicht ein territorialer Angriff auf das Bündnisgebiet steht, sondern die Herausforderung einer globalisierten Unsicherheit: so die Rechtfertigung jener, die den Umbau der Bundeswehr ungeachtet von Verfassungsvorschriften und völkerrechtlichen Geboten für richtig halten. Sie sind sogar bereit, demokratische Errungenschaften wie den Parlamentsvorbehalt für die Teilnahme an Auslandseinsätzen und das Prinzip der Inneren Führung zu relativieren, das den Soldaten als „Staatsbürger in Uniform“ betrachtet. Eine strikte Beachtung dieser Grundsätze würde nämlich den Aufbau einer gemeinsamen europäischen Streitmacht erheblich erschweren. Der wird auch für notwendig erachtet, um künftig in Washington leichter Gehör mit eigenen Ansprüchen zu finden.

Rudolf Scharping hat die Reform der Bundeswehr in Angriff genommen, die in ihren Kernpunkten zwar von der überwältigenden Mehrheit der politischen Klasse für richtig gehalten wird, für die derzeit jedoch die erforderlichen Mittel nicht zur Verfügung gestellt werden. Der gefeuerte Minister hat sich über diesen Widerspruch lange mit Luftbuchungen hinwegzusetzen versucht und gehofft, irgendwie werde sich die Reform der Bundeswehr schon durch wackelige Konstruktionen wie erwartete Veräußerungsgewinne aus Liegenschaften der Bundeswehr finanzieren lassen.

Damit wird sich mittelfristig kein Nachfolger zufrieden geben, zumal der Umbau der Streitkräfte inzwischen ein Stadium erreicht hat, in dem sich die begonnenen Maßnahmen nicht mehr ohne weiteres rückgängig machen lassen. Man kennt das vom Karussell – niemand muss einsteigen, ein Ausstieg während laufender Fahrt aber empfiehlt sich nicht.

Fest steht: Nach den Wahlen wird ein scharfer Streit über den Wehretat entbrennen – was auch immer Peter Struck vor der Wahl sagen mag. Gemessen daran dürften sich die derzeit zaghaft ausgetragenen Konflikte über Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern oder die Zukunft der Wehrpflicht ausnehmen wie die Erinnerung an ein sanftes Blätterrauschen im Angesicht eines Orkans.

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