: sommer-krimi
Folge 3
George blieb mehrere Meter zurück, als sie die Stufen des Vier-Sterne-Hotels hochstiegen. Im Zimmer 112 ließ der Mann sich schnaufend auf das Bett fallen, öffnete die Knopfleiste seiner Hose und spreizte die Beine.
„Komm ...“
Er winkte mit den fleischigen Händen. George ging auf ihn zu, nahm seine rechte Hand und drückte sie sich zwischen die Beine. Der Mann stöhnte. Dann beugte George sich über den beschäftigten Freier, nahm eine Vase vom Nachtschrank und schlug sie ihm über den Kopf. Nicht zu fest, aber auch nicht zu schlapp. George hatte Übung. Er filzte rasch sämtliche Jacken an der Garderobe, den Kleiderschrank, die zwei Koffer und die Kleidung des Bewusstlosen. Wenige Minuten später war er im Besitz von achthundert DM, knapp tausend Peseten sowie zweier Kreditkarten.
Im Koffer fand er ein Adressbuch. Auf dessen zweiter Seite war fein säuberlich Name und Anschrift des Mannes notiert: Heinz Bäuerl, Wanne-Eickel, Hölderlinstraße 23. Zufrieden stopfte George sich die Beute in die Hosentaschen. Jetzt konnten sie die Fähre bezahlen. Er fühlte routinemäßig den Puls seines Opfers, wandte sich dann ab, öffnete die Tür und blickte genau in das verdutzte Gesicht eines blonden, muskulösen Mittdreißigers.
„Hoppla! Heinz, bist du da?“
Der Blonde reckte den Kopf, um an George vorbei in den Raum zu blicken. George reagierte prompt. Er riss die Tür ganz auf.
„Kommen Sie, schnell, er ist umgekippt, ich hole Hilfe!“
Dann zwängte er sich an dem blonden Mann vorbei und rannte die Treppe hinunter.
*
Lennie sah George sich blitzschnell durch die flanierende Menschenmenge drängen. Dann manövrierte er sich geschickt durch die bremsenden und hupenden Autos. Erst auf der Promenade erreichte er volles Tempo. Aber der blonde Mann blieb dran. Mit elastischen, schnellen Schritten schien er sogar den Abstand zu George zu verkürzen. Lennie wunderte sich, dass der Verfolger nicht um Hilfe rief: „Haltet den Dieb!“ oder so etwas. Aber der war der sportliche Typ. Wollte seine Angelegenheiten offenbar selbst regeln. George rannte auf ein Bootshaus zu, abseits vom hellen, belebten Teil des Hafens. Sein Verfolger kam immer näher. Lennie rannte jetzt auch. Er schnitt ihnen den Weg ab, erreichte als erster das Bootshaus und drückte sich in den Schatten.
Der blonde Mann hatte George fast eingeholt. Gerade als er zupacken wollte, streckte Lennie ihm sein Bein in den vollen Lauf. Das kam so unvermittelt, dass der Mann mehrere Meter weit flog, bis er jäh von einer Regentonne gestoppt wurde. Lennie war sofort bei ihm, packte ihn mit beiden Händen an den Schultern und schlug ihn immer wieder mit dem Kopf an den Tonnenrand. Obwohl von stattlicher Figur, wirkte Georges Verfolger zwischen Lennies Armen wie eine kraftlose, willenlose Puppe.
Vorabdruck aus Holger Biedermann, Von Ratten und Menschen, Kriminalroman, erscheint am 28.8. bei Edition Nautilus Hamburg, 192 S., 12,90 Euro, © Edition Nautilus
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