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Die Kunst ist lang, das Leben kurz

Der eine Ochse schaut zum Gesundbrunnencenter, der andere in Richtung des einstigen Zentralviehhofs: Der Arnswalder Platz in Prenzlauer Berg wird dominiert von einer monströsen Skulptur aus rotem Sandstein. Trotzdem lebt es sich nicht schlecht hier

von ANSGAR WARNER

Die Grünanlage im Bötzowkiez hält sich bedeckt. Denn der Blick wird versperrt durch eine verrammelte Pommesbude und die Marmorfassade einer niegelnagelneuen City-Toilette. So entgeht einem leider der Anblick jener monströsen Skulptur aus rotem Sandstein in der Mitte des Platzes. Zwei riesige Ochsen recken sich mehrere Meter in den Himmel, umgeben von wülstig-expressionistischen Damen und Herren, die behäbig ihre tonnenschweren Luxuskörper über den Rand des Sockels quellen lassen. Die Kunst ist lang, das Leben eher kurz. Zwei magere Jugendliche üben sich gerade zu Füßen der klobigen Giganten in erstaunlich flinker Ball-Akrobatik. Standbein, Spielbein, Standbein, Spielbein, wie ein aufgescheuchter Vogel fliegt der kleine Gummi-Flummi zwischen den beiden fußballbegeisterten Zeitgenossen hin und her.

Ochse Nr. 1 schaut derweil gleichgültig über sie hinweg. Verfolgt man seine Blickachse auf einer Karte, gleitet sie in etwa über das Gesundbrunnencenter und das Amtsgericht Wedding auf die Nervenklinik Spandau zu. Ochse Nr. 2 dagegen glotzt fatalistisch in Richtung des ehemaligen Zentralvieh- und Schlachthofs. Umsonst alles Streben – für einen Eintrag auf dem Stadtplan sind die beiden Viecher nicht groß genug, da können sie sich noch so recken und strecken. Allein das megalomanische Springbrunnen-Bassin in ihrer Mitte hat es geschafft, als blauer Kreis das Planquadrat T 12 im patentgefalteten Taschenstadtplan zu zieren.

Die zyklopische Vogeltränke und ihre steinernen Freunde haben anders als so manches Haus in der Umgebung die Zeitläufte ganz gut überstanden. Weder Royal Air Force, russische Artillerie noch rußige Autoabgase konnten dem Gesamtkunstwerk bisher etwas anhaben. Und sollten die sehr reizbaren Amerikaner demnächst einmal auf die Idee kommen, die Ostberliner Stadtteile mit Smart-Bombs zu bewerfen, die auf alles Rote reagieren, wäre der Arnswalder Platz wieder fein raus. Die Kiezsprayer haben das Ensemble mittlerweile flächendeckend mit Graffiti überdeckt, das ein wenig an den Tarnanstrich des deutschen Afrika-Korps erinnert.

Doch an diesem Tag ist – was für ein Wunder in diesem düsteren Sommer! – am Himmel nicht mal ein Wölkchen zu sehen. Die Sonne steht dicht über den Dachfirsten der Pasteurstraße und teilt den Platz in eine dunkle und eine helle Hälfte. Im schattigen Gebüsch des hinteren Teils suchen zwei Vietnamesen fluchend nach versteckten Schmuggelzigaretten. Vorn im Sonnenschein schauen zwei F 6-Raucherinnen entspannt ihren auf dem Rasen herumtollenden Kindern zu. Eigentlich lebt es sich gar nicht so schlecht hier. Die Randbebauung ist leidlich durchsaniert, an der Ecke lockt die gut ausgestattete Auslage eines Weinhändlers, und gegenüber prangt das rote Logo einer Apotheke – für alle Fälle. Wer sich nicht an den Verkehrslärm gewöhnen mag, der von der Danziger Straße herüberdröhnt, dem kann auch geholfen werden: Nur einen Steinwurf entfernt beginnt der Volkspark Friedrichshain. Dessen grauwackige Flakbunker-Reste dürften auch die Freunde melancholischer Großplastiken zufrieden stellen.

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