: Arm in Berlin
Jeder Achte lebt unter der Armutsgrenze. Besonders betroffen sind Kinder, Nichtdeutsche und der Westteil der Stadt
von SABINE AM ORDE
Jeder achte Berliner ist arm. Das heißt, er muss – wenn er allein lebt – mit einem monatlichen Einkommen von maximal 546 Euro auskommen. Insgesamt trifft die Armut 435.000 Menschen in der Stadt, das sind 12,6 Prozent der hiesigen Bevölkerung. Der Anteil der Kinder, die in Armut leben, ist noch größer: Fast ein Viertel (23,6 Prozent) der unter 18-Jährigen ist betroffen, bei den unter 3-Jährigen ist es sogar fast ein Drittel (31,8 Prozent). Das ist das Ergebnis des ersten Berliner Armutsberichts, den Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner (PDS) gestern vorgestellt hat.
Nach dem Bericht sind die Einkommensunterschiede im Westteil der Stadt bedeutend größer als im Ostteil. Während in den westlichen Bezirken 14,2 Prozent der Bevölkerung unter die Armutsgrenze fallen, sind es in den östlichen 10,6 Prozent, also rund ein Viertel weniger. Hier gibt es auch weniger Reiche als im Westteil der Stadt, „die mittleren Einkommensstufen sind weit stärker vertreten“, sagte Knake-Werner. Damit liegt Westberlin weit über dem Durchschnitt der alten Bundesländer (9 Prozent), Ostberlin steht im Vergleich zu den neuen Ländern (15 Prozent) besser da.
Berechnungsgrundlage ist ein durchschnittliches Monatseinkommen von 1.092 Euro für eine allein lebende erwachsene Person. Wer weniger als die Hälfte dieses Durchschnittseinkommens zur Verfügung hat, gilt als arm. Damit hält sich die Sozialverwaltung an die Armutsdefinition der OECD. Die ausgewerteten Zahlen stammen aus dem Mikrozensus des Jahres 1999.
Als besondere Armutsrisiken haben die Statistiker der Sozialverwaltung nichtdeutsche Herkunft, Vorhandensein von Kindern, schlechte Schulbildung, Arbeitslosigkeit und den Bezug von Sozialhilfe ausgemacht. „Sozialhilfebezug bedeutet aber nicht automatisch Armut“, betonte Knake-Werner.
Besonders dramatisch ist die Situation der Nichtdeutschen. Sie sind mit fast 39,2 Prozent weit überdurchschnittlich von Armut betroffen. Zum Vergleich: Unter den deutschen Berlinern liegt die Armutsquote bei 9,2 Prozent. Sehr groß ist auch das Risko für Familien. Generell gilt: Je größer der Haushalt, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die darin lebenden Personen von Armut betroffen sind. Besonders gefährdet sind die Alleinerziehenden. Mehr als ein Drittel (35,6 Prozent) von ihnen sind laut dem Bericht arm, wenn sie zwei Kinder haben. Der Anteil steige mit der Zahl der Kinder.
Die höchsten Armutsanteile verzeichnen nach dem Bericht die ehemaligen westlichen Innenstadtbezirke Kreuzberg (26,4 Prozent), Wedding (23 Prozent), Tiergarten (17,9 Prozent) sowie Schöneberg und Neukölln (je 17,1 Prozent). Im Osten der Stadt wurden in Friedrichshain (14,9 Prozent) und Hohenschönhausen (14,2 Prozent) „überdurchschnittliche Armutsanteile“ registriert, gefolgt von Lichtenberg (12,7 Prozent) und Prenzlauer Berg (11,4 Prozent). Die niedrigsten Armutsanteile wurden in Berlin-West in den Bezirken Zehlendorf (5,3 Prozent), Wilmersdorf (8,1 Prozent) und Steglitz (9,5 Prozent) ermittelt. Im Ostteil sind es Köpenick (6 Prozent), Treptow (6,3 Prozent) und Pankow (8,7 Prozent).
Die Sozialsenatorin betonte, bei dem Bericht handele es sich um erste Angaben. Bis 2004/2005 soll ein umfassender Armutsbericht erstellt werden, der auch Bereiche wie Wohnen, Gesundheit und Bildung umfasse. Bei den Gegenmaßnahmen war Knake-Werner zurückhaltender: Die Arbeitslosigkeit müsse verringert, die Situation der Familien verbessert werden, forderte die PDS-Politikerin und verwies auf die Zuständigkeit der Bundesregierung. Auch in der Bildungs- und der Stadtentwicklungspolitik sieht sie Handlungsbedarf.
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