: Perspektiven mit Nebenwirkungen
Siemens will in der Problemsparte Netzwerke Stellen loswerden. „New Placement“ klingt gut, ist aber umstritten
BERLIN taz ■ Gestern fiel die Siemens-Aktie auf ein Jahrestief, die Technologiewerte stürzten mit. Trotz höherer Gewinnzahlen, als Analysten erwarteten. Grund: Die Aussichten im Technologiemarkt sind düster. Siemens will in der Problemsparte Netzwerke (ICN) 16.500 Arbeitsplätze streichen. Das Siemens-Management will aber Kündigungen vermeiden – mit einem wohl klingenden Programm: „New Placement“. Hier wird den einzelnen Mitarbeitern nahe gelegt, an einem Programm zur Neuplatzierung teilzunehmen. „Freiwillig“, wie es heißt. Der Arbeitsvertrag bleibt bestehen, der Angestellte erhält weiterhin den vollen Lohn, arbeitet aber nur noch Teilzeit, um sich einen Job suchen zu können. Die „Neuplatzierung“ dauert sechs Monate: Wer in dieser Zeit keine neue Stelle gefunden hat, bleibt in seiner Abteilung – vorerst.
Stephan Matthäus ist vierzig Jahre alt, zwölf davon verbrachte er bei Siemens in Berlin, Bereich ICN, Abteilung WN – Softwareentwicklung für Telefonanlagen. Bald wird seine Abteilung geschlossen, 80 Mitarbeiter verlieren die Stelle. „New Placement ist eine Chance“, findet Matthäus. Mit einer externen Beraterin der externen Beraterfirma SKP absolvierten er und seine Kollegen einen viertägigen Kurs. Themen: Wo liegen meine Stärken und Schwächen? Bin ich qualifiziert für andere Branchen? Das sei für einige ernüchternd gewesen, nicht so für Stephan Matthäus: „In der Freizeit entwickle ich Gesellschaftsspiele und TV-Sendungen.“ Zuerst will er sich bei Siemens nach einer neuen Beschäftigung umsehen, „wenn das nicht klappt, wieso nicht Projektleiter im Showgeschäft?“
Er sei einer der wenigen gewesen, der Chancen auf einen Job in einer anderen Branche hat. Bisher verschickte er fünf Bewerbungen, auf zwei hat er Antwort bekommen. Er darf sich vorstellen. Andere haben es schwerer. Matthäus: „Wer sich nicht weitergebildet hat oder älter ist, steht schon unter Druck. Ob man was findet, hängt davon ab, wie viel Zugeständnisse man machen kann“. Sprich: Weniger Lohn, Abstieg auf der Karriereleiter, Umzug. Die Stimmung in der Abteilung sei gedrückt. Matthäus kritisiert die Konzernleitung: „Mich stört nicht, was die Siemens-Spitze macht, sondern wie sie es macht. Wir wurden bewusst schlecht informiert, weil man mit Ungewissheit Angst machen kann“. Matthäus vermutet, dass spärliche Informationen ein Druckmittel sind, um sich der Angestellten zu entledigen. Bis auf einige Ausnahmen bemühten sich die Vorgesetzten nicht, den Druck zu lindern. Als sich von der Abteilung niemand meldete, als bei Siemens in Regensburg Stellen frei waren, ärgerte sich Matthäus’ Vorgesetzter: „So unflexibel kann man doch gar nicht sein.“
New Placement ist bei den Gewerkschaften umstritten. Siemens-Betriebsratsvorsitzender Heribert Fieber von der IG-Metall nennt es ein „zweischneidiges Ding“: Für manche eine „Riesenchance“, ist es bei anderen „für die Psyche schwierig“. Nicht alle Abteilungen werden vollständig aufgelöst bei Siemens, so werden in München nur einzelne Mitarbeiter von ihren Vorgesetzten zum „New Placement“ ausgewählt. Dabei trifft es vor allem „Minderleister“ und Ältere. „Viele Leute werden krank, wenn sie das Gefühl bekommen: Die Firma will mich nicht mehr“, glaubt der Gewerkschafter Fieber. Auf der IG Metall-Website schreibt ein Anonymer: „Es ist wirklich ein Scheißgefühl, wenn man betroffen ist.“ In einem Brief an die taz sprach ein Siemens-Angestellter von „Mobbing“.
Eine Branche profitiert von der Krise: Die Beraterfirmen. Rund dreißig Unternehmungen sind nach Angaben des Bundes Deutscher Unternehmensberater auf Outplacement spezialisiert. Siemens arbeitet mit Rundstedt, SKP und Train. Das New-Placement-Programm lässt sich der Konzern einiges kosten: pro Mitarbeiter ein Betrag in vierstelliger Höhe. „Jeder Zweite wird eine neue Stelle finden“, rechnet sich Siemens-Manager Lukas Harings aus. In Berlin sieht die Realität noch anders aus: „Kaum einer hat bisher was gefunden“, so Stephan Matthäus. Die Gewerkschaften stellen sich grundsätzlich hinter das Programm – sie sind froh, wenn sich Betriebe Alternativen zum Rausschmiss überlegen. „In jedem Fall ist New Placement besser als ein Sozialplan. Doch ich hätte es lieber, es ginge weiter mit der Arbeit“, sagt Heribert Fieber. Ähnlich geht es Stephan Matthäus: „Werde ich wirklich arbeitslos, dann habe ich mehr Zeit für meine Tochter.“ SIMON JÄGGI
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