piwik no script img

„Aneignung und Ausbeutung von Leben“

Im Gegensatz zu Embryonen bleiben menschliche Zellen und Gene patentierbar. 2.000 Anträge laufen

BERLIN taz ■ Mit der Einschränkung des Edinburgh-Patentes hat das Europäische Patentamt (EPA) seine urspünglich getroffene Entscheidung, menschliche Embryonen zu patentieren, zwar korrigiert. Eine andere, ebenfalls umstrittene Paxis des EPA wurde mit dem Spruch der Beschwerdekammer jedoch bestätigt: menschliche Zellen und Gene bleiben nach Ansicht der Münchener Patentschützer auch weiterhin patentierbar.

In den vergangenen Jahren hatte das EPA bereits mehrmals die bisher gültigen Grenzen bei der Patentvergabe überschritten – „eigenmächtig“ und gegen geltendes Recht, so der wiederholt geäußerte Vorwurf der Patentkritiker. „Systematisch“, so Greenpeace, habe das EPA „die Patentierung von Lebewesen ausgeweitet“. Dabei seien die „Grenzen zwischen der Patentierung von toter Technik und der ungesetzlichen Aneignung und Ausbeutung von Leben“ absichtlich verwischt worden.

Auch der Mensch ist davon bereits erfasst: Von den rund 15.000 Patentanmeldungen im Bereich Gentechnologie, die nach einer Übersicht von Greenpeace bis zum Jahr 2000 beim EPA eingegangen waren, betreffen über 2.000 menschliche Gene. Mehrere hundert davon sind inzwischen rechtsgültig.

Allein die Patentanträge der französischen Firma Genset umfassen insgesamt 36.083 verschiedene menschliche Gensequenzen. Und das deutsche Biotech-Unternehmen Metagen hat bei der Weltorganisation für geistiges Eigentum (Wipo) einen Patentantrag für über 100 Gensequenzen aus menschlichem Eierstockgewebe eingereicht. Ihre genaue Funktion ist nicht bekannt, es wurde lediglich festgestellt, dass die Gene im Eierstock starke Aktivität zeigen. Die Gene sollen zur Entwicklung von Diagnosen und Therapien für Krebserkrankungen dienen.

Beispielhaft ist das vom EPA bestätigte Patent mit der Registriernummer EP 0 70 59 03 auf das Burstkrebsgen BRCA 1. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass hohe Lizenzgebühren die Anwendung dieses Gentests verhindern. Dies sei eine „Besorgnis erregende Entwicklung“, sagte Ottmar Kloiber von der Bundesärztekammer vor kurzem auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Greenpeace.

Kloiber befürchtet auch, dass Forschungsergebnisse nicht mehr sofort veröffentlicht werden, sondern zurückgehalten werden, bis die Patente gesichert sind. Vor allem wenn es sich um die Entwicklung von überlebenswichtigen Medikamenten handelt, sei das eine nicht hinnehmbare Verzögerung.

Auch die Enquetekommission zur modernen Medizin warnte in ihrem Abschlussbericht: Die Patentierungen von Gensequenzen „ermöglichen es den Patenthaltern mit so genannten Global- oder Netzpatenten, ganze zukünftige Entwicklungsfelder der Biotechnologie zu besetzen und damit für andere zu blockieren.“

WOLFGANG LÖHR

40.000 mal Danke!

40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen