: Die Schattenseiten der Stadt
Junge Menschen aus aller Welt helfen dem „Cafée mit Herz“ auf St. Pauli. Der Sozialbehörde ist die Begegnungsstätte für Wohnsitzlose im Hafenkrankenhaus dagegen keinen Cent mehr wert
von MATHIAS WÖBKING
Sie kommen aus Städten, in denen die Armut größer ist als in Hamburg. Der 27-jährige Student Predrag Stankovic etwa lebt im serbischen Kragujevac. „Die Probleme hier sind klein – im Vergleich zu denen zu Hause“, sagt er. Katja Gwosdewa ist 23 Jahre alt und stammt aus Gomel in Weißrussland. Anders als Stankovic ist sie von St. Pauli schockiert: „Auch in Gomel betteln viele“, sagt sie. Dort sei die Armut aber weniger sichtbar: „Niemand liegt im Schlafsack auf der Straße.“
Die beiden nehmen zurzeit zusammen mit 40 weiteren jungen Menschen in Hannover an einem Workcamp des Jugend-umweltnetzwerks Niedersachsen teil. Am Mittwoch schauten sie sich zunächst einen halben Tag lang das schöne Hamburg an. „Wir waren im Rathaus und am Hafen“, erzählt Gwosdewa. In der zweiten Tageshälfte zeigte ihnen Holger Hanisch, Geschäftsführer der Begegnungsstätte für Wohnsitzlose „Cafée mit Herz“ auf St. Pauli „die Schattenseiten der Stadt“.
Er erzählt, was seiner Ansicht nach alles schief läuft auf dem Kiez. Am Hans-Albers-Platz ist von Mietwucher die Rede, in der Silbersackstraße von einer kaputtgesparten Sozialarbeiterstelle und unzufriedenen Punks.
Während sich die BesucherInnen vom Umweltcamp durch die Straßen führen lassen, sind Liza Onzia und Andrzej Jarmotowicz an den Landungsbrücken mit der Spendendose unterwegs. Die 25-jährige Belgierin und der 18-jährige Pole sind für zwölf Tage in Hamburg, um das „Cafée mit Herz“ zu unterstützen. „Wir sammeln, helfen in der Küche und reden mit den Gästen“, sagt Onzia. Sie gehören zu zehn TeilnehmerInnen aus sieben Ländern eines Workcamps des „Service Civil International“ (SIC). Als sie beschlossen, für ihren freiwilligen Einsatz nach Hamburg zu reisen, rechneten sie damit, eine reiche Stadt zu besuchen. „Ich bin überrascht, dass es hier so viele Obdachlose gibt“, sagt Jarmotowicz. „Einer, mit dem ich mich unterhalten habe, kam aus Tschechien. Der war froh, dass er mit mir polnisch reden konnte“, erzählt er.
Froh ist auch Hanisch über die internationale Hilfe. 1200 Euro haben die 18- bis 30-Jährigen bislang für die Begegnungsstätte gesammelt. Geld, das dort dringend benötigt wird: Dem „Cafée“ fehlen noch über 500.000 Euro, um in das Pförtnerhäuschen des ehemaligen Hafenkrankenhauses einziehen zu können. Die Realisierung des Projekts ist gefährdet, seit die Sozialbehörde ihre Zusage zurückgezogen hat, 100.000 Euro zuzuschießen (taz berichtete). Die Behörde versage dem „Cafée“ das Geld, obwohl die Anzahl seiner Gäste um 50 Prozent gestiegen sei, seit Wohnsitzlose aus der Innenstadt vertrieben würden, ist Hanisch empört.
„Hanisch muss Druck auf den Senat ausüben“, rät ihm einer der internationalen Gäste, der Indonesier Agusthinus Hans Rumbiak. Er arbeitet in Biak (West-Papua) für eine Jugendeinrichtung. „Ich kenne es, mit Politikern um jede kleine Hilfe kämpfen zu müssen“, sagt er. Dass es solche Probleme auch in Deutschland gebe, hätte er allerdings nicht vermutet.
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