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: Ein-Tages-Linsen, Augen-Migräne, Tinnitus und Bakterien-Teddys

Von der klaglosen Karriere eines Babyprobanden

Neuerdings grinst mich immer so eine Kleine an, sie lächelt von einer Riesen-Plakatwand herunter, eine Kleine mit einem Milchnuckelmund, die Arme voller Ausgeh-Stempel, und mit Kontaktlinsen. Die Linsen kann man natürlich nicht sehen, aber die Schrift auf dem Plakat erklärt, dass die Tanzmaus Ein-Tages-Linsen trägt, die genau so lange fit bleiben wie sie. Was ganz schön lange sein könnte, diese Tanzmäuse von heute nehmen doch alle Trips, und so, wie ich die Kleine einschätze, hat sie mindestens drei Papierchen mit Hello-Kitty-Aufdruck geschluckt, oder wie moderne Trips aussehen.

Darum würde sie eventuelle Augentrockenheiten eh nicht bemerken, sondern einfach weiter die Arme schwingen und ihre Freundinnen über die Housebeats anschreien: „Voll suuuuuuper!“ Nicht mal eine Augen-Migräne würde sie mitkriegen. Augen-Migräne ist meine neue Lieblingskrankheit, ich habe sie mir begeistert von einem Bekannten erklären lassen, der ab und an darunter leidet. Obwohl „leiden“ der falsche Ausdruck ist, denn der Mann ist genau das Gegenteil eines Hypochonders: Er hat jede Menge echte Krankheiten und jammert überhaupt nie darüber. Man muss ihm die Krankheiten förmlich aus der Nase ziehen. Bei der Augen-Migräne, erzählte er mir gestern, wachsen plötzlich große, blinde Flecken im Gesichtsfeld, man vergreift sich also ständig, weil man nichts mehr fokussieren kann. Ich habe sofort darüber nachgedacht, die Krankheit zu adaptieren. Eine Hypochonderin wie ich ist immer auf der Suche nach neuen, ungewöhnlichen Zipperlein, und ich muss unbedingt meinen netten, westfälischen Apotheker überraschen, der mich in den letzten Wochen schon wegen Gürtelrose, Hexenschuss, Magen-Darm-Virus und Röteln behandelt hat, und dem ich eigentlich als nächstes Ziegenpeter präsentieren wollte, weil es vom Namen her so gut zur Gürtelrose und zum Hexenschuss passt.

Die Augen-Migräne passt aber auch gut. Der Nicht-Hypochonder mit den vielen Krankheiten riet mir allerdings davon ab. Bei ihm fehlt es außer hin und wieder an den Augen noch an ein paar mehr Sachen, er kann zum Beispiel nur bestimmte Dinge essen und trinken, weil ihm irgendein Enzym fehlt, hat einen Tinnitus, ist Rot-Grün-blöd und hat manchmal Gelenkschmerzen. Aber kein Wort der Beschwerde kommt über seine Lippen, nie hadert er mit seinem Schicksal, dabei ist er meines Wissens noch nicht mal religiös und darum leide-süchtig. Im Gegenteil, man hat das Gefühl, einen gesunden, ruhigen und zufriedenen Menschen vor sich zu haben, der eben gerne trockenes Weißbrot isst und an Fußgängerampeln manchmal etwas unsicher wirkt.

Ich bin mir fast sicher, dass der Nicht-Hypochonder schon als Baby vom Werk zum Probanden bestimmt wurde. „Die neuen Tinnitus-Erreger testen wir wieder an dem ruhigen, dunkelhaarigen Baby da hinten, mal sehen, wie sie sich mit den Lebertropfen verstehen!“ „Kollege, gucken Sie mal, ob das ruhige, dunkelhaarige Baby immer noch nicht nach der mit Bakterien versetzten Teddy-Kette gegriffen hat, weil es die Kette wegen der Augen-Migräne nicht erkennen konnte.“ „Haben Sie dem ruhigen, dunkelhaarigen Baby schon das schwerverdauliche Breichen gegeben?“ Und da jenes Babymodell so prima mit all den Stolpersteinen klarkam, geht es wahrscheinlich in Serie.

Bei mir wurde vom Werk nur die schon erwähnte Hypochondrie-Neigung eingeimpft, dazu ein paar Tropfen Asthma, und natürlich war auch ich Teil des Großversuchs zur Fehlsichtigkeit. Aber das reicht mir schon dicke, ich glaube, ich muss mich demnächst mal umtauschen.

JENNI ZYLKA