: Geschmack der weiten Welt
Was ist der Alexanderplatz jenseits eines „Vorpostens der Mongolei“ oder eines Weltstadtplatzes? Auf einer taz-Veranstaltung holten sich die Berliner Kontrahenten Rat von Architekten aus Polen
von TINA VEIHELMANN
Als Vorzeigeadresse eines urbanen Berlin taugte der Alexanderplatz wohl nie. Und dennoch kommt man um ihn nicht so leicht herum. Das hat nicht nur mit seiner realen Gestalt, sondern auch den Projektionen zu tun, für die er herhalten muss. Selbst bei Alfred Döblin ist der Alex ein Platz, an dem ständig gebaut wird. Derweil steht Franz Biberkopf mit seinem Bauchladen da und verkauft Zeitungen, wenig weiter gehen die Prostituierten ihren Geschäften nach.
Und heute? Es ist schon erstaunlich, dass die zehn Jahre alte Polemik eines Architekturkritikers, der Alexanderplatz sei ein „Vorposten der Mongolei“, anstatt vergessen zu werden mittlerweile zum stehenden Begriff der Alexanderplatz-Feuilletons wurde. Die Verteidiger des Platzes brauchen das Zitat, weil es viel über die Ressentiments seiner Urheber verrät. Seine Kritiker wiederum haben die Konnotationen „Wüste, Weite, Wind“ aufgenommen, ohne noch ein einziges Mal hinzusehen, ob der Alex an warmen Sommerabenden tatsächlich trist und leer ist.
So gesehen trat der Stadthistoriker Dieter Hoffmann-Axthelm – sonst hoffnungslos verstrickt in die Begriffsscharmützel um den Alexanderplatz – einen ungewöhnlichen Schritt zurück, als er bemerkte, dass genau genommen auch die Mongolei nicht öde sei. Schauplatz war eine Veranstaltung der taz anlässlich des Weltkongresses der Architekten.
taz-Redakteur und Moderator Uwe Rada nahm das vermeintliche Kritikerverdikt zum Anlass, die Podiumsteilnehmer zu fragen, warum der Alexanderplatz wie kein anderer Ort „den Osten“ verkörpere, warum er dafür gehasst, aber auch geliebt wird. Zugleich sollte es mit der Anwesenheit der polnischen Architekten Romuald Loegler aus Krakau und Leszek Świątek aus Stettin um die Frage gehen, wie man in Polen auf die deutsche Hauptstadt, ihre Architektur und ihre städtebaulichen Debatten schaut.
Doch anders als in den veröffentlichten Debatten, bei denen die europäische Stadt allzu oft als Allheilmittel gegen die sozialistische ins Feld geführt wird, ging es in der mit 200 Zuhörern völlig überfüllten Neuen Aktionsgalerie in der Auguststraße eher bedächtiger zu. Romuald Loegler bemerkte kopfschüttelnd, dass Polen doch eigentlich immer zu Europa gehört habe. Wo sei denn der Unterschied zwischen den Bausünden polnischer Architekten, die in München und Paris studiert haben, und denen deutscher Architekten?
Die Bauhistorikerin Simone Hain wiederum reihte, an die Adresse Hoffmann-Axthelms gerichtet, nicht nur die gewachsene Stadt, sondern auch die Plan- und Idealstädte in die Tradition europäischer Städte ein. So schnell also ist eine jahrelang zurechtgebastelte Dichotomie aufzulösen. Der Ost-West-Konflikt schien für einen Augenblick wie wegdiskutiert. Doch wenn nicht ostig, dann finde er den Alexanderplatz wenigstens provinziell, hielt Hoffmann-Axthelm das Podium bei der Stange. Manche fänden seine Kulisse mit Fernsehturm und Forumhotel großstädtisch, setzte Hain dagegen.
Das war sie wieder, die alte Kontroverse. Geschmäcklerisch, konterte Hoffmann-Axthelm. Lieber solle man über die Stadtstruktur des modernen Platzes reden, die nicht flexibel, nicht leistungsfähig sei. Starr sei sie vielmehr, nirgendwo ließe sie Freiräume zu, etwas Unvorhergesehenes zu unternehmen. Selbst das Experiment im Haus des Lehrers, das der Chaos Computer Club und viele Künstler erfolgreich umnutzten und zur markanten Adresse machten, wollte er als Argument für eine neue Chance der Moderne nicht gelten lassen. Denn die Kunstschaffenden seien ja nur vorübergehend dort gewesen.
In seinen Logikmanövern hätte es der Stadtmissionar Hoffmann-Axthelm mit den Scholastikern aufnehmen können. Vielleicht war es ein Fehler seiner Widersacher, sich wieder und wieder an ihm müde zu diskutieren. Den Gästen aus Polen schien der Berliner Stadtentwicklungsdiskurs denn auch zu weit entfernt vom wirklichen Leben. Die Diskussion beziehe sich stark auf die ästhetische Oberfläche der Stadt, kritisierte Leszek Świątek. Sie sollte doch stärker auf die Menschen eingehen, die an einem Ort leben.
Aus Krakau berichtete Loegler von der urbanen Aneignung der beiden Plätze im Zentrum: dem Hauptmarkt, auf dem sich die ganze Stadt trifft, und dem kleinen Markt, der unbevölkert bleibe. Und das, obwohl die Aussicht malerisch sei – mit einer alten Kirche und üppig historischer Stadtstruktur. „Aber da ist nichts. Alle tummeln sich auf dem anderen Platz.“ Und?, fragt erwartungsvoll das Podium. Woran liegt das? An der Architektur jedenfalls nicht, meinte der Gast. Und am Alexanderplatz? Dort sei „volles Leben“, urteilte Loegler, der den Platz schon zu DDR-Zeiten als Reisender kennen gelernt hatte, einquartiert im Forumhotel. Sogar nachts habe er auf ihn durchaus belebt gewirkt. Mit der äußeren Gestaltung habe das gar nicht so viel zu tun.
So gesehen kann man für die Zukunft des Alexanderplatzes ja nur zuversichtlich sein. Irgendwas passiert immer. Die wirtschaftliche Lage der Stadt lasse keine Investorenhöhenflüge erwarten, schloss Simone Hain schließlich die Diskussion – vielleicht also doch eine Zukunft mit langsamer Weiterentwicklung, Experimenten und neuen Nutzungen alter Bestände? Zeit für die „Generation Alex“, wie die taz die jüngeren Leute schon nannte, die den Platz für sich entdeckt haben. Aber auch für alle anderen, die einfach nur auf dem Brunnen sitzen wollen oder bei Kaufhof einkaufen gehen.
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