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Tony Blair verprellt beide Seiten

Die Erklärung des britischen Regierungschefs zum nordirischen Friedensprozess stößt sowohl bei den Unionisten wie bei den Mitgliedern der Mehrparteienregierung in Belfast auf Kritik. Derweil wackelt bereits der Stuhl von Nordirlands Premier Trimble

aus Dublin RALF SOTSCHECK

Der Balanceakt ist nicht geglückt. Der britische Premierminister Tony Blair wollte mit einer Erklärung vor dem Unterhaus am Mittwochabend den nordirischen Friedensprozess auf Kurs halten, ohne eine Seite zu verprellen. Am Ende hatte er beide Seiten verprellt.

Blair und sein Nordirlandminister John Reid warnten die paramilitärischen Organisationen, dass der Begriff eines Waffenstillstands künftig eng ausgelegt würde. Waffenkäufe, militärische Übungen und das Auskundschaften möglicher Angriffsziele würden nicht länger geduldet. Eine „besondere Verantwortung“ hätten dabei die Organisationen, die an der Mehrparteienregierung in Belfast beteiligt seien, sagte Reid. Er werde nicht zögern, von seinem Recht Gebrauch zu machen, eine Partei auszuschließen, deren bewaffneter Flügel die Waffenruhe breche.

Reids Bemerkung war an Sinn Féin („Wir selbst“), den politischen Arm der Irisch-Republikanischen Armee (IRA), gerichtet. Die kritisierte die Unterhauserklärung deshalb auch. Parteipräsident Gerry Adams sagte, die britische Regierung habe die wahren Gründe für die Krise in Nordirland außer Acht gelassen, nämlich die Gewaltkampagne der protestantisch-loyalistischen Organisationen. Die Statistik gibt Adams Recht: Straßenschlachten und nächtliche Überfälle gehen vorwiegend auf das Konto protestantischer Organisationen. Erst am Montag hatte die Ulster Defence Association (UDA) einen 19-jährigen Katholiken in Belfast ermordet.

Doch die britische Regierung erkennt den offiziellen UDA-Waffenstillstand seit vorigem Jahr ohnehin nicht mehr an, und der politische Flügel der Organisation war aufgrund seines schwachen Wahlergebnisses von Anfang an nicht in der Mehrparteienregierung vertreten. Die protestantischen Unionisten fordern, Sinn Féin ebenso zu behandeln und die Partei aus der Regierung zu verbannen, weil die IRA angebliche Todeslisten mit den Namen führender Tory-Politiker aufgestellt habe. Die Organisation soll zudem versucht haben, in Florida Waffen einzukaufen.

Dass Sinn Féin dennoch in der Regierung bleiben darf, will die Mehrheit der Unionisten nicht länger hinnehmen. Von der Democratic Unionist Party (DUP) des reaktionären Pfarrers Ian Paisley kam die erwartete Schimpfkanonade. Paisley bezeichnete Blairs Rede als „Worte eines Wiesels“, sein Vize Peter Robinson nannte Blair einen „Serientäter in Sachen gebrochener Versprechen“ und fügte hinzu: „Es ist eine verblüffende und neue Idee, an die paramilitärischen Organisationen zu schreiben und sie zu fragen, ob sie artige Buben und Mädels waren.“

Auch die Ulster Unionist Party des Friedensnobelpreisträgers und nordirischen Premiers David Trimble beschuldigte Blair, ein „akzeptables Maß an Gewalt“ zu tolerieren. Martin Smyth, einer von Trimbles Widersachern in der eigenen Partei, sagte: „Die paramilitärischen Organisationen werden die Drohungen nicht ernst nehmen, weil die Regierung nie Ernst gemacht hat.“

Beunruhigender für Trimble ist jedoch die Tatsache, dass auch die gemäßigten Unionisten die Unterhauserklärung als „impotent“ ablehnen. Ken Maginnis, der Trimbles Lager angehört, sagte, er sehe Blairs Versprechen mit Zynismus. Jeffrey Donaldson, der Ambitionen auf Trimbles Posten hat, kündigte für den Parteitag im Herbst einen Antrag auf Rückzug seiner Partei aus der Regierung an. Sollte Trimble sich dem widersetzen, wird er wohl gestürzt. Und wenn nicht ein Wunder geschieht, werden die Gegner des Friedensprozesses auf unionistischer Seite bei den Wahlen zum Regionalparlament im kommenden Mai eine deutliche Mehrheit erringen.

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