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Ein rückhaltloses Abrakadabra

Die Kneipenrunde ist mit der Entschuldigung unzufrieden: „Der ist nicht naiv, höchstens dumm“

aus Tübingen HEIKE HAARHOFF

Eigentlich kann sich der Grünen-Kreisverband Tübingen so eine Kampa gar nicht leisten: mitten in der Altstadt, direkt am Marktplatz. Erst vor drei Wochen, berichtet die Schatzmeisterin, hätten die Grünen das Ladenlokal „Zum grünen Herzen“ bezogen. Die Wände sind frisch gestrichen, es hallt ein bisschen, und der Versammlungsraum im unteren Kellergewölbe wirkt wie unberührt. Vielleicht liegt das daran, dass einer der Vormieter ein Bestattungsunternehmer war.

Aber nach Trauer sieht es hier dann auch wieder nicht aus, in dem Raum mit den frischen Sonnenblumen in der Vase. Soll es auch nicht, denn die Tübinger Grünen wollen mit aller Kraft ihren Kandidaten in den Bundestag bringen. Der heißt Winfried Hermann und hat als einer der wenigen gegen den Afghanistaneinsatz gestimmt. Hermann, 50 Jahre alt, steht auf der Landesliste auf dem wackligen Platz acht, das Geld für Werbung ist knapp. Doch die Grünen, sagt die Schatzmeisterin und kneift den Mund zu einem Lächeln zusammen, plagten derzeit ja andere Sorgen als die, die Miete für ein Wahlkampfbüro bezahlen zu können. Vor allem an diesem Mittwochabend.

Sie blickt unsicher zur Eingangstür. Wie viele werden kommen, um die Grünen fertig zu machen? Wie viele ihnen die Glaubwürdigkeit absprechen? Sie sagt: „Abblasen konnten wir die Veranstaltung ja nicht mehr.“ Denn es stand schon seit Monaten fest, dass Hans-Christian Ströbele, der Bundestagsabgeordnete, der sich im Untersuchungsausschuss um den CDU-Spendenskandal den Ruf des unbestechlichen Aufklärers erwarb, seinen Parteifreund Winfried Hermann im Wahlkampf mit einem Vortrag unterstützen würde. Das Thema ist in der ganzen Stadt plakatiert: „1.000 fast legale Spendentricks“.

Vielleicht fanden die 60 bis 80 Tübinger, die in die Grünen-Kampa strömen, das Thema besonders interessant, nachdem am Wochenende herausgekommen war, dass sich der Abgeordnete Cem Özdemir 1999 vom Waffenlobbyisten Moritz Hunzinger 80.000 Mark zu einem günstigen Zinssatz geliehen hat. Allerdings benutzen nur einige Zuschauer vor der Versammlung Wörter wie „Eselei“ oder „Eigentor“. Mehr sagen, sie seien gekommen, um Ströbele zu sehen.

Winfried Hermann steht auf der Bühne, unauffällig, leise, abwartend. Er begrüßt Ströbele und sieht dabei aus, als habe er sich längst damit abgefunden, dass die Veranstaltung eine Panne wird. „Ich dachte nicht, dass wir heute mit uns selber reden müssen“, erklärt er. Erst mal darf David, ein schwäbischer Zauberkünstler, das Publikum mit Tricks zur wundersamen Geldvermehrung aufheitern. Dann betritt Hans-Christian Ströbele die Bühne. Vor seinen Augen wird sein handsignierter 50-Euro-Schein verbrannt. „Das darf man nicht!“, ruft er. Und dann: „Staatsanwalt!“ Die Zuschauer lachen. Der Zauberer überreicht dem Aufklärer ein paar ineinander geschachtelte schwarze Koffer. Im letzten liegt der 50-Euro-Schein, handsigniert, unversehrt. Der Applaus dauert lange. Sollte es einmal Unmut über den verloren gegangenen politischen Anstand eines Grünen-Abgeordneten gegeben haben, spätestens jetzt ist er verflogen. Ströbele darf seinen Vortrag wie geplant halten, darf seine sprachliche Kohl-Imitation zum Besten geben, darf mit Anekdoten über Parkplätze und Hotelbetten glänzen, in denen vermeintlich honorige CDU-Größen illegale Millionenspenden empfingen, darf „die korrupten Strukturen“ anprangern, die über Jahre die ganze Bundesrepublik gesteuert hätten. Als er, ganz am Ende, dann doch auf die Verfehlungen des Cem Özdemir zu sprechen kommt, da darf er, die Antikorruptionsinstanz der Republik, beinahe unwidersprochen verlangen, man müsse „die Kirche im Dorf lassen“. Die Grünen seien keine besseren Menschen, Özdemir habe sicher einen Fehler gemacht, der „rückhaltlos“ aufgeklärt werden müsse. Aber zugleich müsse ihm zugute gehalten werden, dass er erstens 1999 vermutlich nicht gewusst habe, dass Hunzinger „in der Sache vergleichbar“ mit dem mittlerweile per Haftbefehl gesuchten Waffenhändler Schreiber sei. Und, wichtiger noch: „Konkrete Politikentscheidungen sind im Fall Özdemir ja nicht gekauft worden.“

Dass die Vorteilsnahme bereits in dem Kredit bestand, dass einer, der sich viel Geld von einem Unbekannten leiht, sich fragen müsste, woher dieses eigentlich kommt, dass ein vom Volk gewählter seinem Volk Rechenschaft schuldig ist, fällt ihm nicht ein. Das Publikum schluckt es. Ein paar kritische Nachfragen: ja – Streit, Vorwürfe, Rücktrittsforderungen: nein. Da wird es Winfried Hermann zu brav. Ihm, der sich bislang zurückgehalten hat, entfährt es: „Es ist doch aber ein Unterschied, ob ein Abgeordneter, der sehr hohe Diäten bekommt, eben damit er unabhängig sein kann, so einen Kredit nimmt. Damit beginnt doch das Abhängigkeitsverhältnis. Damit stellt sich die Frage, ob das freie Mandat noch sicher ist.“

Aber Winfried Hermann hat sich zu sehr im Griff, als dass er sich zu mehr hinreißen ließe. Er weiß: Sobald er Cem Özdemir zu scharf angreift, würde ihm das als Missgunst ausgelegt werden. Missgunst über den 14 Jahre Jüngeren, dessen Wahlkreis, Ludwigsburg, nur eine dreiviertel Zugstunde von Tübingen entfernt liegt, dessen Bekanntheit aber Welten von der eines Winfried Hermann trennen. Missgunst über einen, dem Talkshowsofas schon immer wichtiger waren als Leitanträge. Und schließlich Missgunst darüber, dass der 36-jährige Özdemir ihm, Hermann, bei der Kandidatenaufstellung zur Bundestagswahl den letzten sicheren Listenplatz in Baden-Württemberg wegschnappte. Zwänge die Partei Özdemir zum Rücktritt, wäre Hermanns Wiedereinzug in den Bundestag gesichert.

Viertel nach zehn, die Veranstaltung in der Kampa ist zu Ende. Zwölf Grüne ziehen in die „Tangente“ um. Ohne Ströbele und Hermann. „Wo sind unsere Maßstäbe geblieben?“, ereifert sich Claudia Patzwahl, die lange Jahre für die Grünen in Tübingen Lokalpolitik gemacht hat. „Wäre Özdemir in einer anderen Partei, wir hätten längst seinen Rücktritt gefordert!“ Statt dessen sähen die Grünen jetzt zu, wie einer die Glaubwürdigkeit der Partei ruiniere, die Grünen geradezu blamiere: „Wie kann es sein, dass einer, der im Bundestag sitzt, keine Steuersätze kennt?“ Wie wolle so einer „die ganz normalen Bürger“ vertreten? Andererseits, sagt Claudia Patzwahl, wundere es sie wenig, dass ausgerechnet Özdemir in Geldnöte geraten sei, „bei dem Lebenswandel, den der pflegt“. Als sie noch im grünen Kreisverbandsbüro gearbeitet habe, sei dort öfter versehentlich Post für ihn gelandet: „Schuhkataloge von ganz edlen Firmen, die wir uns nie leisten könnten.“ Claudia Patzwahl presst die Lippen zu einem dünnen Grinsen zusammen.

Hermann greift Özdemiran – aber nicht zu scharf, denn das würde ihm als Missgunst ausgelegt werden

Auch in Berlin hatte Özdemir mit Leuten zu tun, die viel Geld ausgaben, ohne es zu haben: Sein langjähriger Freund und Nachbar aus Neukölln wurde mittlerweile wegen 13.000 Euro Mietschulden aus der Wohnung geklagt. So etwas gefällt den Schwaben wenig, und noch weniger mögen sie, dass Özdemir, der Politiker, als Dressman auftritt, sein zum Teufelchen verfremdetes Konterfei als Bildschirmschoner anbietet, kurz: sich ständig selbst zur Schau stellt, während andere die Arbeit machen. In der Grünen-Fraktion sagen seine Feinde, dass in der Innen- und Ausländerpolitik eher der Rechtsexperte Volker Beck oder die Ausländerbeauftragte Marie-Luise Beck die Akten wälzen und die Positionen formulieren. Özdemir dagegen verkünde sie: In Streitgesprächen mit dem bayerischen Innenminister Beckstein oder, noch besser, dem Münchner CSU-Kreischef Gauweiler. Selbt Parteifreunde unterstellen Özdemir mittlerweile boshaft, einen Großteil seines Erfolgs verdanke er seinem „Migrantenticket“. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschlands, Hakki Keskin, sagt, die Einwanderer interessierten den schwäbische Türken nur so lange, wie sie ihm nützten: „Als wir große Bedenken gegen das Staatsangehörigkeitsrecht hatten und mit ihm reden wollten, hat er das mehrfach abgelehnt. Eine inhaltliche Auseinandersetzung fand nicht statt.“

In der „Tangente“ in der Tübinger Innenstadt ist sich die Kneipenrunde sicher: Mit Naivität, mit der Özdemir jetzt seinen Hunzinger-Kredit zu entschuldigen sucht, habe sein Verhalten nie etwas zu tun gehabt. Ein Frau sagt: „Der ist nicht naiv, höchstens dumm.“

Dass Moritz Hunzinger Waffenhändler zu seinen Kunden zählte und zugleich im Aufsichtsrat einer Rüstungsfrima saß, sich wegen Aktiengeschäften mit Insiderwissen vor Gericht verantworten musste, ist spätestens ab den Jahren 1999 und 2000 in Süddeutscher Zeitung und Zeit über FAZ bis Manager Magazin nachzulesen. Özdemir berichtete vor zwei Jahren in einem Interview, er lese in seiner Freizeit gern Max und „sehr gern auch TV Spielfilm“. Andererseits war er, solange es nicht um seinen Privatkredit ging, geradezu vorbildlich informiert über die Political Correctness seiner Besitztümer: „Uhr? Früher hatte ich eine Junghans. Einerseits war sie okay, weil es eine Solaruhr war, aber ich hatte immer Gewissensbisse, weil die Firma auch im Rüstungsbereich tätig ist“, sagte er im Juni 2000 in einem Interview. Nur der Name Hunzinger ließ ihn offenbar nie misstrauisch aufhorchen. Nicht, als bei der Aufklärung der CDU-Spendenaffäre herauskam, dass Hunzinger 1994 das Abendessen organisiert hatte, bei dem der Waffenhändler Karl-Heinz Schreiber Wolfgang Schäuble eine Spende in Aussicht gestellt haben soll. Und auch nicht, als der Name Hunzinger im Zusammenhang mit Roland Kochs Landtagswahlkampf in Hessen gegen das von Rot-Grün geplante Staatsbürgerschaftsrecht genannt wurde – ausgerechnet gegen Özdemirs „Herzensthema“, wie er damals erklärte.

Am Kneipentisch in Tübingen sitzt der 30 Jahre alte Stuttgarter Landtagsabgeordnete Boris Palmer. Er sagt, er wundere sich, dass Özdemir seinen Kredit nicht schneller zurückgezahlt hätte. Obwohl er auch nicht weiß, wann Rezzo Schlauch, der Chef der Bundestagsfraktion, seinen innenpolitischen Sprecher vor Problemen mit Hunzinger gewarnt habe. Ihm selber, sagt Palmer, habe Schlauch jedenfalls vor vier oder fünf Monaten völlig unvermittelt geraten, Rücklagen für die Steuer zu bilden. „Mir wird erst jetzt klar, warum Schlauch mir das damals gesagt hat.“ Die anderen am Tisch schauen etwas erstaunt. Nach einer Weile sagt Palmer: „Ich weiß nicht, vielleicht ist dem Cem einfach ein bisschen zu Kopf gestiegen, dass er direkt nach dem Studium in den Bundestag kam und berühmt wurde.“ Als Landespolitiker könne er das zumindest nachvollziehen. „Nein“, sagt Claudia Patzwahl. Auch andere schütteln mit dem Kopf. Als Boris Palmer die Runde drängt, doch wirklich und öffentlich und ganz klar mal zu sagen, ob sie tatsächlich wollen, dass der Abgeordnete sein Mandat niederlegt, da ist Claudia Patzwahl plötzlich in der Minderheit: vier zu sieben für Özdemir, eine Enthaltung.

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