: Suburbs bis zum Alexanderplatz
Kunst zum Architekturkongress (5): Die Galerie Neu zeigt mit vier Entwürfen eine „Shrink-to-fit“-Utopie von Berlin
Die Statistiker wissen es, die Bezirke wissen es, und in den Architektenbüros weiß man es auch. Der Run auf Berlin ist vorbei. All die Versprechungen der 90er-Jahre – gute Jobs, günstige Mieten, tolle Generationen warten auf Sie! – haben sich nicht wirklich erfüllt. Jetzt hat die Stadt ein Problem: Sie schrumpft. Das produzierende Gewerbe ist ins Umland oder gleich wieder nach Westdeutschland gezogen, weil dort die steuerlichen Vorzüge größer sind; die Bevölkerung schaut sich wegen der besseren Lebensqualität nach Wohnraum außerhalb um. In einem halben Jahrhundert könnte nur mehr die Hälfte der BerlinerInnen hier wohnen. Dann wäre die Hauptstadt eine ziemlich leere.
Noch werden solche frustrierenden Zahlen nur am Rande von Architekturkongressen diskutiert. Dabei ließe sich auch mit dem Mangel prima planen, wenn man sich die vier Entwürfe anschaut, die in der Galerie Neu zeigen, wie eine „Shrink-to-fit“-Metropole aussehen könnte. Wen würde es schon stören, wenn sich Berlin auf Dauer so einrichten würde, wie man die Stadt vom Sommer her kennt?
„Schön ist, was uns zusammenbringt“, zitiert das Architektenduo Jessen + Vollenweider in der Ausstellung den britischen Philosophen Edmund Burke – und meint damit „eine Konzentration der Kräfte“: Wenige Straßen strukturieren die Stadt mit ausgewogen durchmischten Bauten aus allen Epochen, dahinter öffnen sich weite Parkanlagen. Behles & Joachimsen bevorzugen das Modell „Blockbuster“, bei dem die Blöcke entkernt werden, um Platz für Grünflächen und Einfamilienhäuser zu machen – die Suburbs beginnen direkt am Alexanderplatz.
Alles ist am Computer collagiert – ein ironischer Verweis auf die Software, mit der auch sonst geplant wird. Beim Kühn & Malvezzi aus Berlin und Wien triumphiert die „Stadt des Anderen“. Dafür dient den Architekten, die auch die Ausstellungsräume der Documenta 11 gestaltet haben, ein Panorama als Vorlage, das Eduard Gärtner 1834 von der Friedrichwerder’schen Kirche aus aufgenommen hat. Allerdings wurden sämtliche Gebäude ausradiert, die seit der Wiedervereinigung in Mitte gebaut wurden. Nur die Klassiker vom Alten Museum bis zum Fernsehturm blieben übrig, dazu kommen ungebaute Utopien wie etwa Adolf Loos’ Chicago Tribune Tower oder das Bürohaus am Bahnhof Friedrichstraße, das Mies van der Rohe in den Zwanzigerjahren nicht realisieren durfte. Im leeren Zentrum der Zukunft wäre Platz für solche Fantasien. HARALD FRICKE
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