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Was kostet die Macht?

Cem Özdemir war ehrgeizig – und Vorbild für viele Migrantenkinder in Deutschland. Er ist nicht nur wegen seiner Fehler gescheitert, sondern weil die Grünen ihn hängen ließen

Weder die Deutschen haben Cem gemocht noch die Türken – darum ist er heute auch so einsam

Ja, ein verdammt bitteres Geschmäckle bleibt im Mund zurück, nach alldem, was nach Cem Özdemirs Rücktritt gesagt und nicht gesagt worden ist. Aber beginnen wir doch standes- und herkunftsgemäß mit einer kurzen Anekdote aus Tausendundeiner Nacht. Wäre Cem ein Stück weiter in der türkischen Kultur verankert gewesen, hätte er auch die Geschichte von dem Sklaven gekannt, der im Palast bis zum Schatzmeister aufsteigt. Der Sultan liebt ihn und vertraut ihm die Schlüssel zu seiner Schatzkammer an. Aber wie das im Palast eben so ist, gibt es jede Menge Missgunst, Neid und Intrigen. „Dein Schatzmeister schleicht sich nachts unbemerkt in die Schatzkammer“, flüstert der Großwesir in des Sultans Ohr, „bestimmt, um dich zu bestehlen.“

Der Sultan glaubt es nicht, will es aber genau wissen. Eines Nachts legt er sich in der Schatzkammer auf die Lauer. Tatsächlich erscheint nach einer Weile sein Schatzmeister, aber was macht er? Holt aus einer Ecke seine alten, schäbigen Sklavenkleider heraus, zieht sie an, richtet sich vor dem Spiegel auf und beginnt mit sich selbst zu reden: „Du bist zwar hoch aufgestiegen, aber verlass dich nicht darauf! Vergiss nie, wer du wirklich bist! Du bist ein Sklave und kannst im Handumdrehen wieder zu einem werden! Sei immer auf der Hut!“

Ja, das ist er nicht gewesen, unser Cem. Er war nicht vorsichtig, sondern heiter und guter Dinge. Seine abiler, die großen Brüder in der Partei, allen voran der deutsche Außenminister und der andere Schwabe, der offenbar nicht so leicht abnehmen kann wie Fischer – sie haben es ihm schließlich jahrelang vorgemacht. Sie waren seine Vorbilder sowohl im Privaten als auch in der Politik. Übrigens, was machen sie gerade? Bedauern sie das Ganze, diesen tragischen Abgang wegen sonst leicht „auszusitzender“ Fehltritte; tut ihnen dieser junge Mann Leid, der von Anfang an zu ihnen aufschaute, den sie schließlich zu ihrem Vorzeigemigranten gemacht und dem sie alles über das „harte Geschäft der Politik“ beigebracht haben, so dass er zum Schluss genau wusste, was zu tun ist? Nein, wir wissen nicht, was die großen Brüder denken. Denn sie schweigen lieber zu Cem Özdemir, den sie nie ernsthaft als wirklich ihresgleichen angesehen haben und auf den sie in der heutigen Konjunktur getrost verzichten können.

Cems Fehler ist es nicht nur gewesen, in Beziehung zu Hunzinger zu treten (wie offenbar dutzende von deutschen Abgeordneten) und seine Bonusmeilen privat zu nutzen (wie alle Journalisten, die heute vernichtende Kommentare über ihn schreiben und sich zum Sprecher des kleinen, ehrlichen Mannes stilisieren) – Cem Özdemirs größter Fehler war es, nicht rechtzeitig in den Spiegel zu schauen. Er hätte dort wohl den jungen, unerfahrenen Mann gesehen, der seine Ziele aufgrund günstiger Sternenkonstellationen frühzeitig erreicht hatte, aber noch viel, sehr viel lernen musste, zum Beispiel über die wirklichen Beziehungen zwischen den von ihm herbeigesehnten Menschenrechten in der Welt bis hin zu den Gründen der globalen Armut, statt über taktische Manöver, um an der Macht zu bleiben. Oder sagen wir’s einfacher: Dass es auf der Welt ganz wenige Menschen gibt, die so leben können wie die Funktionäre der Grünen Partei in Deutschland und dass das einer Grünen Partei nicht zum Ruhme gereicht.

Nebenbei erfahren wir auch Exaktes über die Hintergründe des „tiefen Falls des anatolischen Schwaben“: Eben jene großen Brüder wären mächtig sauer gewesen auf Cem. Josef-Otto Freudenreich vom Tagesspiegel klärt uns schon am vergangenen Freitag über die Situation auf. Sein Artikel ist so voller Hass auf Cem Özdemir, dass man sich fragen muß: Warum? Wir wissen’s nicht. Alles, was wir erfahren, ist dass Cem geschasst wurde. Einen „Politiksurfer“ nennt Rezzo Schlauch heute den Cem, wo er doch früher viel zärtlichere Worte für ihn übrig hatte. Mit dem Satz „Ich bin nicht sein Kindergärtner“ macht er die Verhältnisse klar: Cem, ein kleiner Junge eben, niemals und in keiner Weise wirklich ernst zu nehmen, genießt nicht mehr seinen Schutz. Schlauch hat gesagt, es habe keinen Sinn gehabt ,diese „Jungschen“ zu erziehen, denn sie seien sozialisiert nach dem Motto „Was kostet die Welt?“ Aha. Wir glauben das aber nicht. Wir glauben eher, dass Cem, eben der „Schneidersohn aus dem Kaff“, seine eigentliche Sozialisation bei Joschka, Rezzo & Co. gehabt hat und erst viel später nach seiner Wahl in den Bundestag lernte, wo die Toskana liegt.

„Welch eine Karriere!“, rutscht es dem Herrn Freudenreich schadenfroh und süffisant aus der Feder. „Der Spagatschwabe“ schreibt er ohne Gefühl für die menschliche Würde seines Gegenübers. Hätte er uns gefragt, hätten wir ihm gern erzählt, dass Cem schon immer der Musterassimilierte war, den sich Deutschland nur allzu gern wünscht; ein wirklicher Schwabe, der bei der deutschen Oma von nebenan aufwuchs, wie uns türkische Blätter jahrelang erzählten, die in ihm einen „Verräter“ sahen, weil er nicht Lobbyarbeit für Ankara machte und sich immer als einen „deutschen Abgeordneten“ bezeichnete, der „nicht den Türken oder der Türkei, sondern seinem Wahlkreis verpflichtet ist“. Nein Cem, du hast einfach nicht begriffen, dass du kein richtiger Schwabe, sondern eben nur ein Spagatdeutscher warst. Weder die einen haben dich gemocht noch die anderen – ist das etwa der Grund, warum du heute so einsam bist?

Für Rezzo Schlauch war Cem bis zuletzt ein kleiner Junge und in keiner Weise wirklich ernst zu nehmen

Ich habe die politische Linie, die Cem Özdemir bei den Grünen verkörperte, immer kritisiert. Nicht zuletzt durch Cems Freunde, die Realos, ist die Partei, in die nicht nur in Deutschland, sondern in der ganzen Welt Menschen von ganz unten Hoffnungen auf soziale Veränderungen gesetzt haben, unwählbar und zum Symbol dessen geworden, was man vermeiden sollte. Die Realo-Prominenz war es jedoch, die in der grünen Partei solchen jungen Aufsteigern wie Cem seit Jahren vorgeführt hat: Jawohl, Rotwein in der schicken Berliner Paris-Bar, Designerklamotten und ein Engagement gegen Armut und für Menschenrechte sind wunderbar miteinander zu vereinbaren. Mit 36 Jahren war er aber auch alt genug, um seinen eigenen Weg zu gehen.

Cem hat allein durch seinen Aufstieg tausenden von diskriminierten Migrantenkindern gezeigt, dass Ehrgeiz, ja genau der Ehrgeiz, der ihn heute zu Fall brachte, sich lohnt. Cem hat versucht das Spiel perfekt mitzuspielen, und seine Präferenzen waren nicht die unsrigen. Trotzdem ist er in die deutsche Geschichte eingegangen als der junge Türke, der den Versuch wagt, in der ersten Reihe zu sitzen. Er hat allen gezeigt, dass der Schuster nicht bei seinen Leisten bleiben muss, auch wenn heute mancher süffisante Kommentar das behauptet. Cem machte aber auch zur falschen Zeit die falschen Dinge. Dass er sie in der falschen Partei machte, können wir nicht behaupten. Seine jetzige Einsamkeit ist ein Beweis dafür, dass seine Exfreunde und Ziehväter nur noch eine Frage im Kopf haben: „Was kostet die Macht?“ DILEK ZAPTÇIOGLU

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