: Wie viel Straße braucht das Land?
aus Berlin KATHARINA KOUFEN
Eine gute Gesundheitspolitik fördert die Gesundheit, und eine gute Bildungspolitik will mehr Bildung. Eine gute Verkehrspolitik aber sollte zum Ziel haben, Verkehr zu vermeiden. Hier liegt der Haken. Das Verkehrsministerium ist nach wie vor ein Investitionsministerium. Es hat mit rund 24 Milliarden Euro nach dem Arbeitsministerium den größten Haushalt. Jahrzehntelang tuckerte hier der Motor, der die Konjunktur beleben sollte. Durch staatliche Nachfrage Arbeitsplätze schaffen? Das hieß lange Zeit vor allem: Straßen bauen.
Auch die rot-grüne Regierung hat in Rekordhöhe investiert: 5 Milliarden Euro flossen in Bau und Erhalt von Autobahnen und Bundesstraßen, 4,5 Milliarden – fast doppelt so viel wie in den letzten Jahren unter Kohl – in das Schienennetz. Vor allem die Grünen legen aber Wert darauf, dass davon mehr als die Hälfte für den Erhalt und nicht für Neubau ausgegeben wurden – und dass die Pläne erst auf ihren Druck zugunsten der Schiene korrigiert wurden. Möglich machten das die Milliarden aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen. Rund eine Milliarde Euro jährlich gehen davon an die Bahn.
Doch die UMTS-Milliarden sind endlich, und sparen muss die nächste Regierung schon deshalb, weil sie sonst mit Brüssel Ärger bekommt. So wird die Verkehrspolitik in der nächsten Legislaturperiode von der Finanzierungsfrage dominiert werden. Nutzer- oder Haushaltsfinanzierung? Die SPD setzt neben dem allgemeinen Haushalt auf Einnahmen aus der Maut für Lkws, die ab Mitte 2003 gelten soll. Ebenso die CDU. Die Christdemokraten wollen die Staatsausgaben für Straßen, Schienen und Wasserwege noch stärker erhöhen als Rot-Grün. Sie hoffen dabei auf „die natürlichen Steuereinnahmen, die der Aufschwung mit sich bringt“.
CDU-Verkehrsminister Matthias Wissmann, der letzte Ressortchef unter Kohl, hatte außerdem in den Neunzigerjahren erstmals rund 15 Projekte privat vorfinanzieren lassen. Rot-Grün und FDP lehnen diese Praxis als „reine Umfinanzierung“ ab, weil damit nur die künftigen Haushalte belastet werden. Auch in der CDU nehme man inzwischen Abstand davon, sagte Dirk Fischer, verkehrspolitische Sprecher der CDU. „Nur in Ausnahmebelastungen, also zum Beispiel wegen der Belastung durch die Wiedervereinigung“, sei private Vorfinanzierung akzeptabel.
Die FDP will für die Infrastruktur „so viel privates Kapital wie möglich“ erschließen und komplett auf Nutzerfinanzierung umstellen. Bisher ist das nur bei besonders teuren Projekten, etwa bei Tunneln, möglich. Statt aus Steuern würden Straßen dann über Gebühren finanziert. Im Gegenzug will die FDP die Kfz-Steuer abschaffen und die Mineralölsteuer reduzieren. Die Investitionen in die Schiene will die FDP senken. FDP-Verkehrsexperte Horst Friedrich: „Mit 8 Prozent Anteil am Verkehr ist die Bahn ein Randverkehrsteilnehmer.“ Stattdessen wollen die Liberalen den Wettbewerb auf der Schiene fördern und das Schienennetz endgültig der Holding Deutsche Bahn AG entreißen. Mittlerweile muss die für die Trasse zuständige DB Netz zwar immerhin eine eigene Bilanz vorlegen und kann die besten Strecken nicht mehr ganz so wahllos an ihre DB-Schwestern vergeben. Doch klagen die Wettbewerber weiterhin über Diskriminierung.
Auch die Grünen wollen langfristig eine völlig unabhängige Netzgesellschaft. Die SPD hingegen deckt Bahnchef Mehdorn, der „Bahn aus einer Hand“ will. Und auch Edmund Stoiber beeilte sich nach seiner Aufstellung als CDU-Kanzlerkandidat, dem sehr geehrten Herrn Mehdorn in einem Brief zu versichern, er wolle die DB Netz nicht aus dem Unternehmen herauslösen. Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion sieht das jedoch anders. Sie hat beschlossen, Netz und Betrieb konsequent zu trennen. Einzig die PDS ist vehement gegen eine Trennung der einzelnen Bereiche. „Ein einheitliches Bahnsystem bringt Kostenvorteile“, meint der Abgeordnete Winfried Wolf und warnt vor einer „Zerlegung in Filetstücke und Gleisabfall“.
Die Grünen wollen darüber hinaus Bahnfahren billiger machen. „Wir plädieren dafür, die Mehrwertsteuer für die Bahn und ihre Konkurrenten zu halbieren“, so der verkehrspolitische Sprecher Albert Schmidt. Im Fernverkehr würden dadurch die Tickets im Durschnitt 10 Prozent billiger.
Inhaltlich wird in der nächsten Wahlperiode der Bundesverkehrswegeplan Priorität haben. Der derzeit noch gültige Investitionsplan stammt von 1992. Ihn zu überarbeiten, hatte Franz Müntefering, der erste von drei SPD-Verkehrsministern unter Rot-Grün, gleich zu Amtsantritt versprochen. Zu den Vorhaben gehören 11.600 Kilometer neue Autobahnen und Bundesstraßen, 3.000 Kilometer neue oder erweiterte Schienenstrecken sowie der Ausbau von Flüssen und Kanälen. Doch wenn der Bund nicht mehr Geld bereitstellt als die bisherigen 11 Milliarden Euro pro Jahr, lassen sich bis 2012 weniger als die Hälfte dieser Projekte realisieren.
Das weiß der jetzige Verkehrsminister Kurt Bodewig (SPD). Deshalb hat er das heikle Thema auf nächstes Jahr verschoben. Zu peinlich wäre ein Streit zwischen den Koalitionspartnern so kurz vor der Wahl. Die Grünen nämlich wollen den Plan vor allem „ökologisch verträglich“ machen – sprich: abspecken. Die SPD jedoch verschweigt den Wählerinnen und Wählern in den Wahlkreisen lieber, dass die 300 versprochenen Umgehungsstraßen ein reines Wahlkampfmanöver sind (siehe unten).
Die Verkehrssicherheit dagegen ist nur noch ein Randthema. Der Kanzler hat sich vor vier Jahren klar zum Tempolimit auf der Autobahn geäußert: Nicht mit ihm. In der CDU vertritt man die selbe Meinung, in der FDP, wo ungebremste Mobilität stark mit persönlicher Freiheit assoziiert wird, ohnehin. Einzig die Grünen setzten sich für Tempolimits ein. Ihr Vorschlag, Tempo 30 innerorts als Regelgeschwindigkeit einzuführen, wird sich allerdings mit keinem Koalitionspartner verwirklichen lassen.
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