: Armer Sommer
Wer denkt, Obdachlosigkeit sei ein Problem fürs Winterhalbjahr, der irrt. Armut hat auch im Sommer Hochsaison. Aber es gibt weniger Hilfe. Die „Alimaus“ auf St. Pauli hat jeden Tag mehr Besucher, aber nicht mehr zu verteilen
von SANDRA WILSDORF
An normalen Tagen kommen etwa 300 bis 400 Obdachlose und Suchtkranke für eine Mahlzeit, Rat und Zuwendung in die „Alimaus“ nach St. Pauli. Momentan sind es täglich mindestens 450, und es werden immer mehr. „Die Alimaus muss sich zurzeit jeden Tag einem Besucherrekord stellen“, sagt Leiterin Sonja Praß.
Das Problem: Die Stadt macht Ferien, die Obdachlosen aber nicht. Weil andere Einrichtungen in den Ferien einige Wochen schließen oder die Öffnungszeiten einschränken, erhöht sich der Druck auf die, die geöffnet haben. Momentan hat beispielsweise die Tagesaufenthaltsstätte der Diakonie in der Bundesstraße geschlossen, wegen Renovierungsarbeiten.
Auch die „Mission“ in der Innenstadt hat noch eine Woche geschlossen, in Neugraben und Harburg sind zwei Einrichtungen noch bis Ende August zu, der Tagesaufenthalt „Mahlzeit“ in der Altonaer Billrothstraße hatte im Juni geschlossen, das „Cafée mit Herz“ im Hafenkrankenhaus hat momentan verkürzte Öffnungszeiten, die „Kemenate“ in Eimsbüttel nur montags bis freitags geöffnet. Ulrich Hermannes von der Bahnhofsmission beobachtet das Problem seit Jahren: „Wir weisen immer wieder darauf hin, dass die Einrichtungen sich besser absprechen sollten, wann sie schließen.“
Die Lage wird noch dadurch verschärft, „dass wir im Sommer sowieso immer mehr Besucher haben als im Winter“, sagt Andreas Bischke von der Tagesaufenthaltsstätte „Herz As“. Zum einen gebe es jetzt mehr Durchreisenden, zum anderen würde das Winternotprogramm viele Menschen versorgen, die jetzt wieder in die Tagesaufenthalte kommen. „Bei uns geht es immer an die Grenzen“, sagt Bischke. Auf die eigentlich 100 Plätze kämen durchschnittlich über das ganze Jahr täglich 130 Besucher. „Momentan sind es während der Mahlzeiten eher 175.“
In der „Alimaus“ gehen allmählich die frischen Lebensmittel aus. In Tagen wie diesen, wenn der Monat noch nicht um, das Geld aber längst alle ist, sind besonders viele auf ein geschenktes Essen angewiesen. Die, welche Mahlzeiten spenden, beispielsweise ein Unternehmen, das Essen für Kindergärten kocht, haben aber gerade jetzt weniger Reste. Und auch viele der Ehrenamtlichen sind im Urlaub. „Wir haben momentan zu wenig Leute für die Spätschicht“, erzählt Sonja Praß.
Deshalb gibt es in dem roten Holzhaus am Nobistor zur Zeit nur Frühstück und eine warme Mahlzeit am späten Nachmittag. Auf die Brote, aber auch auf das Zusammensitzen zwischen 19 und 21.30 Uhr müssen die Menschen momentan verzichten.
Gerade fragt eine Frau nach Schlafsack und Isomatte und erzählt: „Ich schlafe seit fünf Wochen draußen.“ Sie erhält beides. Für Dinge wie diese braucht die „Alimaus“ Geld. „Die Leute spenden weniger. Und wenn, dann momentan eher für Afghanistan, was ja auch wichtig ist“, sagt Praß.
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