Perfekt bis zum Überdruss

Im September wird zum achten Mal der „BDA-Preis Bremen“ für vorbildliche Bauten vergeben. Die taz-Serie (Teil 2) blickt auf die bisherigen Preisträger zurück und beleuchtet damit verschiedene Bauepochen in Bremen: 1978 – auf der Suche nach einer anderen Moderne

Die Siebzigerjahre haben sich als eine Phase des Umbruchs in der Architektur eingeprägt. Auch im bremischen Baugeschehen hat dieses Jahrzehnt tiefe Spuren hinterlassen. Man kann das nicht zuletzt an den Ergebnissen des BDA-Preises 1978 erkennen. „Die letzten Jahre haben gezeigt, dass in der kritischen Öffentlichkeit das Bewusstsein von der Verantwortung für Lebensqualität erkennbar wird“, heißt es im Vorwort zum Katalog. Was war geschehen?

Die moderne Architektur, lange Zeit durch den Nimbus gestärkt, Ausdruck gesellschaftlichen Fortschritts zu sein, hatte im Laufe der Nachkriegsentwicklung mit ihrer scheinbar ungebremsten Rationalisierung und ihrer Konzentration auf einseitig wirtschaftliche Interessen deutlich an ästhetischer Qualität eingebüßt. Moderne Architektur wurde nun immer häufiger mit technokratischen Großstrukturen gleichgesetzt. Doch genau die standen vor knapp 25 Jahren wieder zur Disposition.

Deutlich wird dies zum Beispiel an den zahlreichen unvollendeten Großbauvorhaben jener Jahre. Zu den bekanntesten gehören in Bremen und Bremerhaven das Columbus-Center, das Demonstrativbauvorhaben Tenever und die Mozart-Trasse. Auch das Scheitern weiterer Hochhausprojekte steht für den Sinneswandel.

Eines der letzten hier gebauten Hochhäuser, die Haake-Beck-Verwaltung an der Stephanibrücke erhielt von den BDA-Juroren immerhin noch eine Anerkennung – wegen der originellen Grundrisslösung ihres spiralförmig abgetreppten Großraumbüros. Andere geplante Bürotürme am Brill, am Ansgaritor und auf dem Hillmann-Grundstück blieben den Bremern aber letztlich erspart. Allen voran übrigens die als Krone des hiesigen Nachkriegsmodernismus gedachten „Bauhofs“ am Rembertikreisel, das einmal als ein über hundert Meter hoher Behördenturm geplant war.

Die meisten prämierten Bauten von 1978 zeichnen sich dadurch aus, dass sie den kritisierten Erscheinungsformen eines „Bauwirtschaftsfunktionalismus“ noch mit durchaus modernen Mitteln entgegentraten. Die Rede war damals häufig von einer „anderen Moderne“. Für eine solche stand beispielsweise Hans Scharoun, der Schöpfer der Berliner Philharmonie. Der gebürtige Bremer galt als einer der bedeutenden Vertreter einer expressionistischen Moderne. Für sein 1975 vollendetes Deutsches Schifffahrtsmuseum in Bremerhaven wurde der 1972 verstorbene Architekt posthum geehrt.

Auch ein Rückgriff auf eine stark plastische Gliederung des Baukörpers, orientiert am englischen Backstein-Brutalismus, stand für eine Alternative mit modernen Mitteln. Exemplarisch hierfür ist das Altenheim St.Michael in der Kornstraße von Veit Heckrott, der auch schon beim BDA-Preis vier Jahre zuvor zwei Preise erhalten hatte.

Sehr anschaulich wird der architektonische Wertewandel innerhalb nur weniger Jahre an den Bauten der Universität. So wussten sich die prämierten Bauten des Sportbereichs (Planungsgemeinschaft medium – Assmann, Hamburg) deutlich von Bauten der ersten Baustufe abzusetzen. Gegenüber der klobigen Betonfertigteil-Ästhetik des GW 2-Komplexes wirken die Sportbauten mit ihren farbigen Stahl-Glas-Fassaden regelrecht filigran und frisch.

Aber die GW 2-Architekten Kurt Schmidt und Kristen Müller konnten auch ganz anders bauen. Das beweist ihre preisgekrönte Wohnanlage Marcusallee/Ehmckstraße. An der ebenfalls an englischen Vorbildern orientierten Baugruppe mit Laubengangerschließung lobte die Jury die „beruhigende räumliche Wohnatmosphäre“. Wie schon bei der vier Jahre zuvor prämierten Anlage „Großer Kurfürst“ von Ingeborg und Friedrich Spengelin (aus Hamburg), ging es auch hier um den Versuch, die Vorteile des Einfamilienhauses im Geschosswohnungsbau zu verwirklichen.

Bauherr Klaus Hübotter, der schon seit Anfang der Siebzigerjahre durch ungewöhnliche Bauprojekte von sich reden machte, hätte viel lieber noch ein anderes Gebäude prämiert gesehen: seinen damaligen, von Volkhard Meyer-Burg entworfenen Geschäftssitz an der Bischofsnadel, ein konsequent moderner, aber gut in die innenstädtische Umgebung eingefügter Stahlbetonskelettbau. Bei dessen kaum zu übersehender Qualität, glaubte Hübotter, könne nur der Neid der namhaften Architekten-Juroren der Grund für die Nichtwürdigung gewesen sein.

Die merkwürdigste Preisentscheidung betraf 1978 aber das Klöckner-Verwaltungsgebäude in Oslebshausen. Merkwürdig, weil es von der Jury eher getadelt als gelobt wurde: Es zeichne sich nicht durch „atemberaubende Originalität“ aus, sei „nur auf sich selbst bezogen“ und ignoriere „die Beziehung zur Umgebung“ – mithin: Es sei eine „spiegelglatte, raffiniert proportionierte Karosserie“.

Das Urteil charakterisiert genau jenen internationalen Stil in der Bürohausarchitektur, den man eigentlich damals als stadtfeindlich und unkommunikativ verachtete. Der fünfgeschossige Bau war perfekt bis zum Überdruss und wusste innen ebenso durch Rolltreppen zwischen den Geschossebenen zu überraschen wie durch sein „informationsloses Rauschen“ aus Lautsprechern in der Decke, das den Lärm von Schreibmaschinen und klingelnden Telefonen in den Großraumbüros „überdecken“ sollte.

Der Entwurf stammte von den Düsseldorfern Hentrich, Petschnigg und Partner. Das sind – nebenbei bemerkt – jene Architekten, die 1971 auch den Wettbewerb für den 26-geschossigen Behördenkoloss „Bauhof“ gewonnen hatten. Vielleicht war ja der Preis als heimlicher Dank dafür gemeint, dass uns ein ähnliches „nur auf sich selbst bezogenes“ Monument am Rembertikreisel erspart geblieben ist?

Eberhard Syring

Die nächste Folge versetzt uns in das Jahr 1982. Der Impuls, die ins Kreuzfeuer der Kritik geratene moderne Architektur mit einer „anderen Moderne“ zu reformieren, hat an Kraft verloren. Man hört nun vermehrt von einer Verpflichtung gegenüber dem „baukulturellen Erbe“ und von einer Wiederentdeckung und Weiterentwicklung „typischer regionaler Eigenarten“.