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Wenn Wähler ins Netz gehen

Zeige mir deine Webseite, und ich sage dir, ob du Kanzler wirst. Von Schröder bis Westerwelle: Im Internet präsentieren sich die Kandidaten von ihrer Schokoladenseite – und entblößen ihre Macken

von MANUELA BALDAUF

Schwer beugt er sich über Papiere, eine Lesebrille sitzt auf seiner Nase, und er notiert sich offenbar wichtige Gedanken. Daneben steht in dicken Lettern sein Name: Gerhard Schröder. Seit dem 23. Juli ist www.gerhard-schroeder.de im Netz. Im diesjährigen Bundestagswahlkampf stürzen sich die Parteien auf das Internet, als wäre es der direkte Link zum Wahlerfolg.

Die Masse der Seiten ist erdrückend. Neben den schon länger existierenden Parteiportalen bauten die meisten Parteien eigene Wahlkampfseiten, daneben existieren drollig aufgemachte Schmutzkampagnen-Seiten (wie www.nichtregierungsfaehig.de oder www.wahlfakten.de), Spendenaufruf-Seiten (wie www.achtzehnzweitausendzwei.de), Wahlsimulationen (www.wahlkreis300.de) und eben die persönlichen Auftritte der Kandidaten. Dabei ist der Kanzler mit www.gerhard-schroeder.de recht spät dran. Zwar präsentiert er sich der Internetgemeinde als Amtsinhaber schon länger auf www.bundeskanzler.de, doch richtig privat wird er erst jetzt. Von „Geburt in Mossenberg/Lippe 1944“ bis zum selbstpostulierten „Kanzler der Mitte 2002“ gleiten die wichtigsten Stationen seines Lebens auf einer Zeitleiste vorüber. Daneben findet der Nutzer hier die Auftrittsdaten der Schröder-Sommertour, Statements zu seinen wichtigsten Wahlkampfthemen und eine Kolumne von Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf.

Mit ähnlichen Elementen werben Schröders Konkurrenten schon seit Wochen auf eigenen Webseiten um die Wählergunst. Auf ihren persönlichen Seiten versuchen die Politiker nicht nur ihr Profil als seriöse Mandatsträger zu schärfen, sondern geben Teile ihres Privatlebens preis. Edmund Stoiber präsentiert sich unter www.stoiber.de wahlweise als Staatsmann, Kandidat und Privatmann. Letzterer plaudert über seine Kindheit in Bayern und schwärmt von Ehegattin Karin, seiner „großen Liebe“.

Diese Art der Selbstinszenierung gehört zum Phänomen der Personalisierung, bei dem die Person des Politikers zum Deutungsmuster komplexer politischer Zusammenhänge wird. Ein Teil der Wähler befasst sich kaum mit Sachfragen, sondern verknüpft – teilweise unbewusst – seine Wahlentscheidung mit persönlichen Alltagsinformationen über die Kandidaten, im Sinne von „Wer ein guter Vater und Ehemann ist, sorgt auch gut für die Bürger des Landes“. Und wer sich mit einer aufwändigen Webseite präsentiert, der darf ganz nebenbei als in technischen Dingen versierter Modernisierer gelten.

Dieses Phänomen versucht auch Guido Westerwelle zu nutzen, der sich gerne als Dritter im Bunde der hoffnungsfrohen Kandidaten inszeniert. Nicht erschrecken: Der Liberale trompetet den Besuchern beim Anklicken seiner Seite www.guido-westerwelle.de per Audio-File seine Begrüßung direkt ins Ohr und wünscht ihnen „Viel Spaß beim Surfen“. Westerwelle hat noch mehr zu bieten. Er verrät seine Hobbys: Reisen nach Mallorca und Reiten. Ein Foto zeigt ihn strahlend auf einem Schimmel – Bildunterschrift: „Zeit zum Ausreiten bleibt heute nur noch im Urlaub“.

Noch näher kommt man Westerwelle auf www.guido-mobil.de. Hier dokumentiert er seine Tour im gelb-blauen Wohnmobil (Verbrauch: „23 Liter Normalbenzin“) durch die Republik. Seit dem 20. Juli findet der geneigte Leser hier Tagebucheinträge und viele Fotos. Bei aller dubiosen Volksnähe aber wird auch hier das „Projekt 18“ nicht vergessen, wenn der FDP-Vorsitzende die potenziellen Wähler aufruft, ihm seinen Bus zu verschönern: „Ob Häkeldeckchen, Fensterbilder, Briefkasten, Kaffeewärmer, Lenkradschoner. Ihrer Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es heißt: Unser Guidomobil soll das kultigste Fahrzeug auf Deutschlands Straßen werden.“

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